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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Und dann? Dann werden sie herausfinden, wer dem alten Alois Dietz immer das Essen gebracht hat. Und wer ab Januar fünfundvierzig doppelte Rationen brachte. Und so fort. Vielleicht finden sie es auch nicht heraus. Das müssen sie auch nicht. Ich werde es ihnen sagen.
    Sie wartete, bis er ihr den Kopf zuwandte. Dann fragte sie:
    Ich will nur wissen: Was hat er gesagt, bevor er starb? Und warst du allein?
    Gernot Paintner stand auf, reckte sich und ging an ihr vorbei zur Terrassentür. Er schwieg lange. Dann entschied er sich und sprach stockend in den verwilderten Garten hinaus.
    Wenn du wissen willst, ob er nach dir gerufen hat: Nein. Er hat bloß geschrien. Der alte Dietz hat ihn nicht verteidigt. Und wenn du wissen willst, ob ich allein war: Nein. Wir alle drei haben deine Ehre verteidigt. Unser Vater und Helmut und ich. Und wenn du es genau wissen willst: Ich habe ihm die Beine zerschlagen, Helmut die Arme, und unser Vater hat dem Schwein den Schädel eingeschlagen. Ist es das, was du unbedingt wissen wolltest?
    Freya atmete tief ein. Und Dietz?, fragte sie.
    Selber schuld, auf das Verstecken von flüchtigen Gefangenen stand sowieso die Todesstrafe.
    Gernot Paintners Sätze wurden zu Bildern. Sie konnte nichts dagegen tun, hob beide Hände vor den Mund und legte sie auf ihre Lippen, als wollte sie sich doppelt verschließen. Der Schmerz zog ihren Brustkorb zusammen. Sie rang nach Atem und ließ keine Luft ein. Sie blieb still. Ihr Bruder, der ihr noch immer den Rücken zuwandte, erfuhr nichts von ihrem Gefühl.
    Als er sich umdrehte, sagte er: Dein Garten sieht ja saumäßig aus.
    Erst dieser Satz ließ sie schreien.

    Korell nahm die Schreiende in den Arm, strich ihr über das Haar und legte seine Hand auf ihre Stirn. Langsam beruhigte sie sich. Gernot Paintner begriff nicht, was er ausgelöst hatte.
    Sie hat es doch sowieso gewusst, sonst wäre ich ja gar nicht hier. Oder?
    Freya schob Korell zur Seite.
    Vater ist tot. Aber du und Helmut, ihr werdet es büßen. Ich bringe euch ins Gefängnis.
    Paintner kehrte von der Terrassentür zu seinem Sessel zurück und ließ sich hineinfallen.
    Glaubst du allen Ernstes, dass sie uns nach sechzig Jahren wegen einem Nigger verurteilen werden? Ja, wenn das ein Jude gewesen wäre, da hätte ich Bedenken. Da machen sie ja immer noch ein mordsmäßiges Buhei. Aber für so einen Neger dreht kein Staatsanwalt die Hand um. Ich bin da ganz ruhig.
    Mord verjährt nicht.
    Günther Korell hatte nach Freyas Zusammenbruch lange geschwiegen. Dass er sich juristisch einmischte, überraschte Paintner.
    Wüsste nicht, dass ich Sie gefragt habe.
    Dennoch stimmt es. Mord verjährt nicht. Ob Sie das glauben oder nicht: Die Staatsanwaltschaft muss anklagen, sie hat da keine freie Entscheidung.
    Na und? Ich bin ein sehr alter Mann und ganz und gar nicht verhandlungsfähig, um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Jungchen.
    Mein Sohn macht sich keine Sorgen um dich, sagte Freya laut, ganz gewiss nicht. So wenig wie ich. Ich will dich vor Gericht sehen, ich will, dass du gestehen musst, dass du öffentlich sagst: Mein Vater war ein Mörder. Mein Bruder ist ein Mörder. Ich bin ein Mörder. Alle Welt soll wissen, dass ihr Abschaum seid!
    Paintner sah sie an und schwieg. Nach einer Weile sagte er kaum hörbar:
    Er war auch dein Vater.
    Freya antwortete, ohne zu zögern.
    Dieser Mann hat mich gezwungen, mein Kind wegzugeben, und ich weiß bis heute nicht, wo es ist. Ich habe ihn mein Leben lang gehasst, und ich werde ihn noch hassen, wenn ich sterbe.
    Er hat dich gerettet.
    Er hat mich zerstört.
    Wieder ließ ihr Bruder einige Sekunden verstreichen.
    Wir sollten uns über Iris’ Grab versöhnen, das hätte sie so gewollt.
    Woher willst du das wissen?
    Iris war ein starkes Mädchen, sagte er. Seit sie tot ist, steht fest: Wir gehen unter, die Paintners sterben aus, wahrscheinlich verhandelt Martin längst mit irgendeinem Konzern, Japaner oder Chinesen oder andere Schlitzaugen. Martin ist ein Schwächling. Deshalb hat er auch die falsche Frau geheiratet. Keine Söhne! Die Susi rennt von einem Seelendoktor zum nächsten, nichts kommt dabei heraus. Iris war meine einzige Hoffnung.
    Ich habe einen Erben, sagte Freya.
    Paintner sah Korell an und lachte abfällig.
    Der? Sei sicher: Ich sorge dafür, dass der keinen Fuß bei uns in die Tür kriegt. Der versteht vom Holz so viel wie ich vom Rosenzüchten. Ich habe die Firma nicht hochgebracht, um sie einem Erbschleicher an den Hals zu schmeißen.

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