Mein ist der Tod
Vater auf eine andere Uferplatte. Das Rauschen und das dumpfe Schlagwerk der Stromschnellen schläferten sie ein.
Sie erwachte vom Fauchen der Petroleumgaslampe. Noch im Halbschlaf hatte sie gehört, wie Joseph mit dem Pumpstößel den Druck im Tank der Lampe aufbaute. Jetzt begann das Licht sich auszubreiten, der Glühstrumpf wurde weiß, die Helligkeit hart.
Der Himmel über ihr war schwarz.
Ihr Vater hatte auf einem Plastiktuch das Abendessen vorbereitet. Es gab Brot, Öl, gekochte Eier und Huhn.
Aminata hatte keinen Hunger. Joseph glaubte zu wissen, warum. Sie ahnte, was ihr bevorstand. Er beobachtete ihr Gesicht.
Etwas Palmwein?
Sie sah ihn erstaunt an. Noch nie hatte der Vater ihr Palmwein angeboten, im Gegenteil. Zu Hause galt für sie ein strenges Verbot, Alkohol, auch so milden, zu trinken. Sie hatte auf dem College in Banjul längst Bekanntschaft mit Whisky und Gin gemacht. Bier schmeckte ihr nicht.
Sie nahm den Becher entgegen.
Und dann wirst du bitte auch etwas essen, sagte Joseph. Es dauert nämlich noch, bis das weiße Krokodil erscheint. Erst wenn es den Nachtregenbogen sieht, kommt es heraus.
Sie saßen in der Nacht und warteten darauf, dass der Vollmond aufging.
Joseph erzählte von seiner Kindheit in einem Land des Nordens, von Kälte und Hass. Er wusste nichts von seinen Eltern, nur was ihm die Nonnen im Heim gesagt hatten: Seine Mutter sei eine Schlampe gewesen, sein Vater ein Affe.
Aminata hörte, wie ihr Vater plötzlich mit fremden Wörtern sprach: Ein dreckiger Affe, eine weiße Schlampe.
Was ist das?
Gemeine Namen, um Menschen zu verachten. Deutsch. Ich habe Deutsch gesprochen, lange bevor ich Englisch konnte, sagte ihr Vater. Sie nannten mich Sarotti. Keine Ahnung, weshalb. Sepp Sarotti. Das war mein Name in ihrem Waisenheim.
Seine Erinnerungen an die Kindheit bei den Armen Schwestern vom Herzen Mariae waren verblasst, aber er wusste noch, dass sie ihn in ihre Missionsstation nach Ghana gebracht hatten, und dass er von dort in die Schwesternmission nach Gambia, nach Georgetown, kam. Der englische Distriktgouverneur befahl, dass der Deutsche in ein Internat nach Banjul gehen musste, das damals noch Bathurst hieß. Und dort wurde ihm von den weißen Lehrern jegliches deutsche Wort verboten. Doch sie nannten ihn, wie er hieß: Joseph Mboge.
Andererseits, fuhr er fort, war es keine schlechte Schule, ich konnte von da zur Universität, hatte sogar ein Stipendium. Leider haben sie das Internat nach der Unabhängigkeit aufgelöst, weil es eine Schule der Kolonialherren war. Ich wäre gern dort Lehrer geworden.
Dann hättest du mir Deutsch beibringen können, sagte Aminata.
Das habe ich tief in mir vergraben. Stell dir vor, du hättest mich gefragt, woher ich die Sprache kann. Was hätte ich dir sagen sollen? Und Kinder hören ja nicht mit einer Frage auf, das geht immer weiter. Du hättest wissen wollen, warum ich zu diesen Nonnen gekommen bin.
Das will ich immer noch wissen.
Dazu sind wir hier. Ich habe dir gesagt, gab Joseph stockend zu, dass dir deine weiße Haut vom heiligen Krokodil gegeben worden ist. Das ist nicht wahr.
Das weiß ich schon lange.
Aber du kennst die Wahrheit nicht: Du hast die Haut meiner Mutter. Das ist die Wahrheit. Meine Mutter war eine Deutsche.
Der Vollmond ging auf. Als riesige, von innen leuchtende Orange hob er sich über den Horizont. Das Gesicht Aminatas nahm den Schein auf. Joseph betrachtete sie von der Seite und empfand einen Schmerz, für den er keinen Grund wusste.
Sie gossen sich wechselseitig ein wenig von dem Flaschenwasser über die Hände und trockneten sie an ihren Jeans. Aminata setzte sich neben ihn und schwieg. Hier, sagte Joseph plötzlich und nahm die Hand seiner Tochter, jetzt gebe ich dir, was mir meine Mutter in die Wiege gelegt hat.
Er zog die rostige Blechdose mit der blauen Aufschrift Hühneraugenpflaster Lebewohl aus der Hosentasche, öffnete sie, entnahm die Erkennungsmarke und legte sie in die Hand des Mädchens: ein kleines rechteckiges, blank gegriffenes Metallschild mit einer Perforationslinie. Auf beiden Hälften Buchstaben und eine Zahlenfolge.
Dein Großvater war ein französischer Soldat, sagte Joseph. Ein Tirailleur Senegalais. Er hieß Yoro Mboge. Hier steht es. Mehr weiß ich nicht von ihm. Versprichst du mir unter dem Nachtregenbogen, dass du mit Dankbarkeit und Ehrfurcht an ihn denkst? Denn er ist dein Ahne. Er hört und sieht alles, was du tust, und er gibt dir ein gutes oder ein schlechtes
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