Mein ist der Tod
gerutscht. Max Reber und er hatten die Scheibe vom Leuchttisch genommen, an den Ecken gefasst, ohne die gefärbte Oberseite zu berühren, und vorsichtig über die Längskante gekippt, um das stehende Klarwasser ablaufen zu lassen. Die Pigmente hatten sich gesetzt und hafteten gut. Bevor Swoboda auf Michaela Bossis Ruf reagierte, legte er mit dem Glasmalermeister die Scheibe zum Abbinden der Farben auf die bereitstehenden Holzböcke. Er trocknete seine Hände am Malerkittel und ging auf die Chefermittlerin zu.
Reber holte Putzzeug und fing an, den Boden aufzuwischen.
Entschuldige, sagte Michaela, als er sie umarmte. Aber ich muss dich stören. Es hat einen Anschlag auf deine Zeugin gegeben.
Auf meine Zeugin? Ich habe keine Zeugin. Wann?
Freya Paintner. Vorgestern Nacht. Keine Sorge, ihr ist nichts passiert. Ihre Pflegerin ist dem Tod knapp entronnen, sie wollte ihr helfen. Der Täter ist flüchtig.
Keine Spuren?
Er hat mit seinem Schwert einen Türrahmen gespalten und eine Küchenuhr von der Wand gefegt. Das Schlimme ist: Wir wissen nicht, auf wen er es eigentlich abgesehen hatte: auf die Pflegerin oder Aminata Mboge.
Swoboda schwieg. Er sah ihr an, was sie wollte, und dachte daran, dass er vor einer guten Stunde noch geglaubt hatte, er sei jetzt ganz in der Kunst angekommen und habe sein Polizistenleben endgültig und vollständig hinter sich gelassen.
Ich kann hier nicht weg. Du verstehst, während das eine Fenster trocknet, male ich das zweite, und während das trocknet, wird das erste gebrannt, und das dauert mindestens vierundzwanzig Stunden. Alles greift ineinander.
Und du kannst nicht um eine Woche verschieben?
Dann ist hier ein anderes Projekt in der Pipeline. Warte.
Max Reber hatte viele Künstler in seiner Atelierwerkstatt erlebt, aber noch keinen, der sich nach dem ersten von vier Glasfenstern mit der Bitte verabschiedete, der Glasmalermeister solle allein weiterarbeiten und sich möglichst eng an die vorliegenden Papierentwürfe halten.
Ohne Sie?
Aber Sie wissen genau, was ich will, sagte Swoboda.
Sie suchen nach der leichtesten Farbe. Haben Sie gesagt. Und es geht um Auferstehung.
Ja. Es geht um Auferstehung, bestätigte Swoboda, als sei das eine alltägliche Aufgabe, und klopfte ihm auf den Arm.
Und damit wissen Sie alles, was nötig ist. Sie arbeiten in Ruhe allein, egal, ob mit dem Gießtrichter oder mit dem Pinsel oder mit der Hand. Sie wissen besser als ich, wie die Farben sich durchs Brennen verändern. Aber Sie brennen noch nicht, bitte. Sie lassen die getrockneten Scheiben liegen, bis ich wieder hier bin. Dann entscheiden wir. Was uns nicht gefällt, waschen wir weg. Aber ich hab so das Gefühl, dass Sie die Fenster am Ende ohne mich noch besser hinbekommen.
Max Reber überlegte. Dann fragte er:
Glauben Sie an die Auferstehung?
Sie?
Reber zögerte. Ja. Schon.
Swoboda lächelte ihn an: Dann kann ja nichts schiefgehen.
Aminata fand den Tag zu schön, um sofort in die Villa zurückzukehren, und rief Freya an. Sie werde noch etwas spazieren gehen, die Sonne genießen, eine Stunde nur, höchstens anderthalb.
Vom Zeitungsgebäude am Schillerplatz flanierte sie durch die Hauptstraße zum Neldaplatz, an der Galerie Matt vorbei in die Wilhelmstraße, folgte ihr das kurze Stück fast bis zum Kornmarkt, bog kurz davor nach links in die enge Glockengasse, die an der evangelischen Matthäuskirche vorüber und zur Kornbrücke über die Mühr führte. Jenseits der Brücke wandte sie sich nach rechts und lief am Westufer der Nelda entlang, auf der schmalen Teerstraße, die hier Unterer Treidelweg, weiter nördlich dann Floßlände hieß.
Erst als sie die Fischerhäuser sah, fiel ihr auf, wo sie war. Gernot Paintner hatte die Unterbrechung der Abrissarbeiten verfügt, und so standen die schiefen Holzhäuser, umflattert von ein paar Fetzen der polizeilichen Absperrbänder, noch in der Sonne und sahen aus, als starrten sie aus den Giebelfenstern auf das fließende Wasser, das ihre Geschichte davontrug. Haus Nummer 4 war von den Studenten geräumt worden, und der zweiundachtzigjährige Sepp Straubert, der am Tag, an dem die Bagger gekommen waren, vor dem Haus 7 einen Herzinfarkt erlitten hatte, wohnte jetzt in einem Pflegeheim.
Aminata lief langsam über die Uferwiese, betrat die schmale seitliche Veranda am Haus 5 und lief vor zur Flussseite, wo noch ein kurzer Teil des Stegs erhalten war und wie an allen Fischerhäusern eine Bank neben der Tür stand. Oberhalb der verrosteten Eisenklinke
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