Mein Ist Die Nacht
Karla kannte
seine Termine. Zumindest die beruflichen. Sie vergaß nie
etwas, und in diesem Augenblick bezweifelte Baumann, ob das immer
gut war.
39
11.20
Uhr
Das Haus der Familie
Ziegler lag am Ende einer Sackgasse in Wuppertal-Ronsdorf. Einst
war es in den Siebzigerjahren als Flachdach-Bungalow gebaut worden
und sicherlich der ganze Stolz seiner Besitzer gewesen. Hinter
einem kleinen Vorgarten führte eine Treppe hinauf zum Eingang,
der unter einem kleinen Vordach lag. Nichts Besonderes, aber
immerhin sehr sauber, stellte Franka fest, als sie das Haus
betrachtete. In der Einfahrt parkte ein Skoda Oktavia.
Sie klingelte. Drinnen
schlug ein Hund an, der aber schnell von einer Frauenstimme
beruhigt wurde. Nach einer knappen Minute öffnete sich die
Haustür, und eine Frau Anfang dreißig blickte die
Besucher fragend an. Sie war blond, trug die Haare aber
kürzer, als es Mandy getan hatte. Zu einem modischen
Strickpulli hatte sie eng anliegende Jeans und Hausschuhe an. Sie
betrachtete die Besucher mit einer Mischung aus Neugier und
Misstrauen.
Die Ähnlichkeit
mit ihrer Schwester war nicht zu übersehen. Die Frau war
ungewöhnlich blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen, die
auch das Make-up nicht zu retuschieren vermochte. Ihre blauen Augen
wirkten irgendwie … verheult.
»Ja
bitte?«
»Frau Ziegler?
Mein Name ist Hahne von der Kripo Wuppertal, das ist mein Kollege,
Herr Stüttgen.« Franka lächelte freundlich.
»Dürfen wir vielleicht kurz reinkommen?« Sie
zeigte der Frau ihren Dienstausweis, doch die warf keinen Blick
darauf und bat die Besucher herein. Drinnen duftete es nach
Mittagsessen. Schweigend führte sie Franka und Micha in die
Küche. Sie setzten sich. Auf dem Herd standen Töpfe.
»Es ist eine schwere Zeit«, sagte Frau Ziegler. Ihre
Augen schimmerten feucht. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie
wirkte völlig übernächtigt.
»Unser
herzliches Beileid«, murmelte Micha. Dann wusste sie also
schon vom Tod ihrer Schwester, dachte er erleichtert.
»Jetzt beginnen
die ganzen Formalitäten, ich habe so was noch nie
gemacht.«
»Wie geht es
Ihnen?« Franka hatte die fahrigen Bewegungen der Frau
bemerkt. Ihre feingliedrigen Hände zitterten, die
Mundwinkel zuckten und im Augenwinkel konnte
sie einen Nerv zucken sehen. Petra Ziegler war extrem blass, und
sie wirkte krank.
»Ich schlafe
schlecht, seit einigen Wochen schon. Vermutlich liegt es daran,
dass ich meine Arbeit verloren habe. Jetzt bin ich sozusagen eine
Fulltime-Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Mein Körper hat
sich noch nicht an die Umstellung gewöhnt.« Sie
lächelte. »Aber da muss ich durch,
Einzelschicksal.«
»Sie sollten
einen Arzt konsultieren.«
»Das habe ich
längst getan. Dr. Jürgens rät mir, die
Ernährung umzustellen. Und er hat mir ein Schlafmittel
verschrieben, das ich nachher abholen muss.«
Franka und Micha
beobachteten die junge Frau, die sich ums Essen kümmerte.
»Die Kinder kommen gleich aus der Schule, und dann erwartet
sie bereits das fertige Essen«, murmelte sie. »Sie
mögen das.« Jetzt spielte der Ansatz eines Lächelns
um ihre Lippen. Es war offensichtlich, dass sie sich in den Alltag
flüchtete und den Gedanken an ihre ermordete Schwester
auszublenden versuchte.
Dann drehte sie sich
um und lehnte sich an die Arbeitsplatte. »Aber deswegen sind
Sie sicherlich nicht hier«, murmelte sie.
»Wahrscheinlich kommen Sie wegen meiner
Schwester.«
Micha nickte
schweigend.
»Gibt es neue
Erkenntnisse? Haben Sie das Schwein?« Solche Worte hatten
Franka und Micha von der brav wirkenden Frau nicht erwartet, doch
in Anbetracht der Situation konnten sie die Wut von Petra Ziegler
nachvollziehen.
»Wir haben erste
Hinweise, und vorsichtig ausgedrückt auch erste
Verdachtsmomente, suchen aber derzeit nach den Beweisen, um dann
weitere Schritte einzuleiten«, antwortete Franka ein wenig
ausweichend. »Wir sind eigentlich hier, um Sie zu Ihrer
Schwester zu befragen. Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen?
Und was für ein Mensch war Mandy?«
Tränen sammelten
sich in Petra Zieglers blauen Augen. Sie wandte sich um und wendete
das Fleisch in der Pfanne, bevor sie sich wieder den Beamten
widmete. »Mandy war zuhause bei unseren Eltern immer das
Nesthäkchen, und ich war manchmal eifersüchtig auf meine
kleine Schwester. Zu mir waren unsere
Eltern immer viel strenger, Mandy hatte mehr Freiheiten. Und die
hat sie dann, später, auch ausgenutzt.«
»Inwiefern?«
»Sie traf sich
schon mit Jungs, als sie
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