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Mein ist die Stunde der Nacht

Mein ist die Stunde der Nacht

Titel: Mein ist die Stunde der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Bruders, ein Geschenk von Mommy
und Daddy zum Abschluss in Stonecroft. Denk mal drüber nach.«
    Mit einem Zwinkern und einem kurzen Winken drehte er sich um und ging auf den Aufzug zu. Wütend und mit dem Gefühl der Demütigung, weil er ihre Reaktion auf die Bemerkungen über Mark und Laura so zutreffend analysiert hatte, wandte sich Jean zur Rezeption. Die Angestellte, die dahinter saß, hieß Amy Sachs, eine kleine Frau mit einer sanften Stimme, kurz geschnittenen grauen Haaren und einer überdimensionalen Brille, die etwas lose auf ihrer Nase saß.
    »Nein, wir haben nichts von Miss Wilcox gehört«, sagte sie. »Aber für Sie ist ein Fax gekommen, Dr. Sheridan.« Sie drehte sich um und nahm einen Briefumschlag aus einem Regal hinter der Theke.
    Jean spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie dachte noch, dass sie die Nachricht besser oben lesen sollte, aber da hatte sie den Umschlag bereits aufgerissen.
    Die Botschaft bestand aus neun Wörtern: WEIT SCHLIMMER NOCH ALS UNKRAUT RIECHEN LILIEN, DIE VERWESEN.
    Lilien, die verwesen, dachte Jean. Tote Lilien . Lily .
    »Ist etwas nicht in Ordnung, Dr. Sheridan?«, fragte die Angestellte besorgt. »Hoffentlich keine schlechten Nachrichten?«
    »Wie? Oh … nein … es ist alles in Ordnung, danke.« Wie benebelt fuhr Jean mit dem Aufzug nach oben, schloss ihr Zimmer auf, öffnete ihre Tasche und durchsuchte ihre Brieftasche nach der Handynummer von Sam Deegan. Sein knappes »Sam Deegan« erinnerte sie daran, dass es schon fast zehn Uhr war und er vielleicht schon geschlafen hatte. »Sam, wahrscheinlich habe ich Sie geweckt …«
    »Nein, haben Sie nicht«, unterbrach er. »Was gibt’s, Jean? Haben Sie etwas von Laura gehört?«
    »Nein, es ist wegen Lily. Wieder ein Fax.«
    »Lesen Sie es vor.«

    Mit zitternder Stimme las sie die neun Wörter vor. »Sam, das ist ein Zitat aus einem Sonett von Shakespeare. Es soll eine Anspielung auf tote Lilien sein. Derjenige, der mir das geschickt hat, droht damit, mein Kind zu töten.« Jean bemerkte die aufkommende Hysterie in ihrer Stimme, als sie in den Hörer schluchzte: »Was kann ich tun, um ihn davon abzuhalten? Was kann ich bloß tun?«

37
    MITTLERWEILE MÜSSTE SIE das Fax bekommen haben. Er war sich nicht im Klaren darüber, warum es ihm immer noch Vergnügen bereitete, Jean zum Narren zu halten, jetzt, wo er beschlossen hatte, sie zu töten. Warum quälte er sie, indem er Drohungen gegen Meredith – oder Lily, wie Jean das Mädchen nannte – aussprach? Zwanzig Jahre lang war sein Wissen über ihre Geburt und ihre Adoptiveltern eines dieser kleinen Geheimnisse gewesen, mit denen man scheinbar nichts anfangen kann; wie ein Geschenk, das man nicht zurückgeben kann, aber dennoch niemals wegwirft.
    Erst im vergangenen Jahr, als er Meredith’ Eltern bei einem Essen kennen gelernt und begriffen hatte, wer sie waren, hatte er sich darum bemüht, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Im August hatte er sie sogar eingeladen, ein verlängertes Wochenende bei ihm zu verbringen und Meredith mitzunehmen, die gerade ihre Ferien bei ihnen verbrachte. Damals kam ihm die Idee, etwas von ihr zu entwenden, mit dem sich eine DNA-Analyse machen ließe.
    Die Gelegenheit, ihre Haarbürste zu stehlen, wurde ihm praktisch auf dem Tablett serviert. Sie waren alle um den Pool versammelt. Ihr Handy klingelte, als sie sich gerade die Haare nach dem Schwimmen bürstete. Sie ging fort, um in Ruhe telefonieren zu können. Es war ein Kinderspiel, die Bürste in seiner Tasche verschwinden zu lassen und sich
dann wieder unter die anderen Gäste zu mischen. Am nächsten Tag schickte er die Bürste und die erste Botschaft an Jean.
    Macht über Leben und Tod – bis jetzt hatte er diese Macht über fünf der Mädchen aus der Tischrunde ausgeübt, dazu noch über einige andere Frauen, die er zufällig ausgesucht hatte. Er fragte sich, wie schnell sie die Leiche von Helen Whelan finden würden. War es ein Fehler gewesen, die Eule in ihre Tasche zu stecken? Bisher hatte er sein Symbol immer an einem versteckten, unauffälligen, unbemerkt gebliebenen Ort hinterlassen. Letzten Monat beispielsweise hatte er ein Exemplar in einer Küchenschublade des Badehauses deponiert, in dem er auf Alison gewartet hatte.

    Im Haus brannte kein Licht. Er nahm die Nachtsichtbrille aus der Tasche, setzte sie auf, steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete die hintere Eingangstür und trat ein. Er schloss die Tür, sperrte ab und lief durch die Küche zur Treppe, dann tappte er

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