Mein Jahr als Mörder
und Klatsch, Orte der Entspannung sind nötig, um die Anstrengungen des Versteilens, Täuschens, Heucheins durchzuhalten. Aber Georg und Robert wollen mehr: möglichst genau wissen, was die Nazis planen. Über eine Praxisvertretung auf Rügen gerät Groscurth an die Witwe eines Landarztes, die das Goldene Parteiabzeichen hat, er pflegt diese Beziehung, die Dame fühlt sich geschmeichelt und verschafft ihm den Staatssekretär im Außenministerium Keppler und Gauleiter Alfred Heß als Patienten, dieser seinen Bruder Rudolf und so fort. Und Groscurth treibt die Tarnung weiter: Um einer Einberufung zur Wehrmacht zuvorzukommen, meldet er sich freiwillig zu einer Grundausbildung bei den Pionieren, wird ein sehr guter Schütze. Dank seiner Beziehungen führt er bei der Militärärztlichen Akademie, wo auch Havemann arbeitet, Tierversuche mit Giftgasen durch. Er habilitiert sich mit «Untersuchungen über die Vergiftung mit Diphosgen oder Perstoff», Militärgeheimnis.
- Ging er da nicht zu weit?
- Vielleicht. Er traut den Nazis alles zu, er weiß Bescheid, kann aber 1937 noch nicht ahnen, dass sie wenige Jahre später Menschen unter die Gashähne schicken werden. Er sammelt Informationen, er fühlt sich sicher im Schatten von Heß, er arbeitet für das Überleben der Nazigegner. Der Kommunist Robert, plakativ gesprochen, und der Sozialist Georg, der sich eher als Humanist bezeichnet hätte, sind sich einig in allem -bis Anneliese auftaucht.
- Aha, die Frau ist schuld, hätte Catherine gesagt.
- Nein, Roberts Vorurteile.
- Du musst nicht immer die Frauen verteidigen.
- Robert meint das selbst. In den fünfziger Jahren entwarfer seine Erinnerungen und beschrieb Georg, wie er ihn damals sah. Darf ich zitieren? «Er konnte der fröhlichste Mensch sein, dieser hessische Bauernsohn, mein Freund und Genosse Georg. Eine Zeit lang hatte ein schwerer Schatten über unserer Freundschaft gelegen, als er Ali geheiratet hatte, die Tochter eines Großkapitalisten, Prokurist bei Hanomag. Es war noch vor dem Krieg. Die Ehe hatte ihm einen großen neuen Wagen eingebracht, Geschenk des reichen Schwiegervaters. Er wohnte jetzt in einer Villa hinter dem Reichskanzler-Platz, der Adolf-Hitler-Platz hieß. Vorher hatte er einen alten gebrauchten DKW, wir beide hatten den Wagen bei einem Altwagen-händler auf eine Annonce hin gekauft. Das heißt, ich hatte ihn beraten. Ich fuhr nur Motorrad. Zuletzt eine schwere 6ooer BMW, die lief 150. Georg war ein Bürger geworden. Alles war neu und ordentlich in seiner Wohnung. Vorher hatte er wie ein Bo-hemien gelebt. Ich hatte die neue Frau gehasst, Klassenhass. Sie hatte meinen Georg korrumpiert, meinte ich. Das war inzwischen fast vergessen, fast. Ali war mit Georgs politischer Arbeit einverstanden. Sie half ihm sogar. Wir hatten sogar einige Treffs in seiner Wohnung, soweit es die Umstände erlaubten. Sie war sehr rührig bei der Beschaffung von Lebensmitteln für die Illegalen. Der Schwiegervater musste viel Geld herausrücken, ohne zu wissen, wofür.»
- War der Havemann nicht auch ein Bürgersohn?
- Ja, der Klassenhass der Bürger auf die Bürger ...
- Es klingt fast nach Eifersucht.
- Kann sein, aber das Thema Havemann und die Frauen ist zu diffizil, da bin ich nicht kompetent. Ein anderer Widerspruch zwischen den Freunden wiegt stärker: Georg hat sein Glück gefunden, während Roberts Ehe wackelt, je mehr er sich in den Widerstand stürzt.
Hippokrates im Widerstand
Einmal hörte ich von Anneliese Groscurth eine Geschichte, die ihr ein Freund von Georg erzählt hatte und die ich nach den Notizen von damals ungefähr so kolportieren kann:
Eine junge Frau, Grete oder Monika oder Renate, Kriegerwitwe, Bürokraft bei einer Handelsfirma, versteckt in ihrer Wohnung in Charlottenburg im Jahr 1942 ein älteres jüdisches Ehepaar, das aus Dresden geflohen ist, übrigens nach der Warnung eines Gestapomannes, eines Nachbarn, kurz vor der Deportation. Grete versorgt die beiden, so gut sie kann, am schwierigsten ist die Beschaffung der Lebensmittel.
Nach zwei Monaten, eines Abends, kommt Grete aus ihrem Büro nach Hause und findet die Wohnung leer. Es klingelt, die Hauswartsfrau drängt herein. Kaum ist die Tür geschlossen, legt sie los:
- Heute Morgen sind Ihre Gäste die Treppe heruntergekommen, der Mann ist umgekippt, ohnmächtig geworden. Mein Mann und ich haben ihn hierher zurückgeschleppt, wir haben den Krankenwagen bestellt, aber die Frau wollte das nicht, auf keinen Fall wollte sie das,
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