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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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und fährt sofort in das Justizministerium, um die Ministerialbeamten zu informieren.
    Am 2. Mai ersucht das Ministerium den VGH, vor der Vollstreckung die nochmalige Weisung des Justizministers abzuwarten.
    Am 3. Mai werden den Groscurth, Rentsch und Richter zugeteilten Pflichtanwälten die Vollstreckungsbescheide und Einlasskarten zur Teilnahme an der Hinrichtung zugestellt. Strengste Geheimhaltung und dunkler Anzug sind Pflicht.
    Am 3. Mai trifft die Untersuchung Die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit... beim Oberreichsanwalt ein.
    Am 3. Mai wird der Fall Groscurth mit der Eingabe Grüters und den neuen Expertenmeinungen noch einmal dem Reichsminister der Justiz vorgetragen. Der entscheidet: Nein, die Arbeiten seien nicht von so kriegswichtiger Bedeutung.
    Am 4. Mai bittet der Oberreichsanwalt das Ministerium um Weisung, ob die Eingabe Grüters die bereits an geordnete Vollstreckung aufschiebe.
    Am 5. Mai antwortet das Ministerium mit seiner Entscheidung vom 3. Mai: Nein, nicht kriegswichtig.
    Am 7. Mai teilt Grüter den Behörden mit, dass der Generalarzt Prof. Muntsch ebenfalls die höchste Kriegswichtigkeit der Groscurth'sehen Arbeiten betont habe und in Kürze ein Gutachten einsenden werde.
    Ungezählte Bomben fallen in diesen Nächten auf Berlin, aber des Tags finden die Boten ihren Weg durch die Trümmer zwischen dem Ministerium in der Wilhelmstraße und dem Volksgerichtshof in der Bellevuestraße und dem Zuchthaus Brandenburg-Görden.
Nicht so feig wie Stauffenberg
    Im Zoo dachte ich über das Töten nach.
    Ende April, der Frühling rief zu neuen Taten, das Grün drängte in den Knospen, ich saß in der Bibliothek und wollte ein hochrationaler Mordbube werden. Über Groscurth hatte ich Kenntnisse gesammelt, über Havemann, aber ich wusste wenig über Herbert Richter und Paul Rentsch, hatte noch nicht mit den Witwen gesprochen. Ich müsste mich mehr um den Architekten und Lichttechniker Richter kümmern, der einst die Beleuchtung für den Zoo entworfen hatte, dann mit der Inszenierung von Görings Weihnachtsfeiern beauftragt war, im Krieg die Bombenschäden zu schätzen hatte und von Görings Referenten vielleicht ebenso Geheimnisse erfahren hat wie Groscurth von den Heß-Brüdern, Keppler und den Gauleitern.
    Es war ungerecht, ihn und Rentsch nicht näher zu würdigen, aber was sollte ich mir noch alles aufladen? Der Freispruch für R. lag vor, da war nichts mehr zu analysieren, wozu gibt es Juristen? Ich durfte die Forschungen über die Gruppe nicht zu weit treiben, wozu gibt es Historiker? Ein Buch war fällig, eine Tat war zu tun, wozu gibt es mich?
    Die Blicke flogen nach draußen, der Zoo war nicht weit. Ich ließ die Bücher, packte die Notizen, lief zum Bahnhof, über den Vorplatz und kaufte eine Eintrittskarte. Hin und wieder hatten sich die Männer der Europäischen Union im Zoo zu konspirativen Treffs mit ihren Helfern verabredet, und ich suchte die Plätze, wo sie sich gemustert, geprüft und gesprochen haben könnten. Eine Dummheit, das war klar, denn der Zoo war im Krieg zerstört worden, kein Kamelstall, kein Tigergehege, keine Vogelvoliere erhalten geblieben, keine von Herbert Richter plazierte Laterne. Nicht einmal die alten Bäume standen da, die Wege waren neu gepflastert, Zäune, Gräben, Bänke, Beschilderungen, alles nicht der Zoo von damals.
    Ich schlenderte die Wege entlang, an Zebras und Gnus vorbei, zu Okapis, Straußen und Ameisenbären, doch die Phantasie reichte nicht, mir Havemann oder Groscurth oder Richter auf einer Bank oder im Gedränge bei der Fütterung der Eisbären vorzustellen. Als mir ein Mann mit Hornbrille begegnete, der Paul Rentsch ähnelte, spiegelte ich mir vor, wie der Dentist vor dem Giraffenhaus einen gefälschten Pass von dem pensionierten Polizisten entgegennimmt.
    Es dauerte eine Weile, bis ich auf den Selbstbetrug verzichtete, auch an diesem Ort recherchieren zu müssen, und den schönen Widerspruch auskostete: draußen, hinter dem Zoozaun die Rhetorik der Revolution, Knüppel, Phrasen, Steine, die täglichen, von der Presse aufgeblähten, mit Superlativen gefeierten Störungen und Ausschreitungen. Und hier, mitten in der Stadt, zwischen Bäumen und Gehegen das Idyll der tausend Tiere, ein einziges Äsen, Fressen, Kauen, Schreiten, Dösen, Glotzen, Schlafen, eine betörende Friedlichkeit hinter den Käfiggittern.
    Im Affenhaus alles wie erwartet, Schimpansen ärgerten, foppten und scheuchten sich, Zuschauer lachten. Es tat gut, mal wieder

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