Mein Jakobsweg
werde ich mitnehmen von dieser Reise? Wird es mehr sein als eine nur flüchtige Begegnung mit mir selbst, mit meinen innersten Wünschen und Kräften? Erst die Zeit nach meiner Rückkehr wird zeigen, was von meinen Erfahrungen im Alltag Bestand haben wird.
So wende ich mein Gesicht der Sonne zu. Sie wird mich wärmen und zurückbringen.
Das Frühstück nehme ich auf einer sonnigen Terrasse, in einem Café gleich beim Hafen. Ohne dass wir voneinander wussten, sind auch die drei Österreicherinnen hier. Wir haben sogar im gleichen Hotel geschlafen. Es ist schön, diese drei Freundinnen zu sehen. Sie waren über den Somportpass gekommen, sind durch ganz Spanien gepilgert und verstanden sich prächtig. Nun wandern sie noch zum Leuchtturm hinaus und fahren erst am Abend zurück.
Ich bleibe derweil am Strand. Eine Mutter spielt dort mit ihren Kindern; sanft plätschert das Wasser. Diese Strände sind wirklich unvergleichlich schön.
Während ich den Anblick in mich aufnehme, formen sich in meinen Gedanken Worte. Aus den Worten werden Zeilen, die sich stimmig aneinanderreihen.
Scheinbar mühelos gelingt mir ein Gedicht. Ich nehme Papier und Stift und schreibe es auf. Es scheint mir vollendet.
Becky mit ihrer Freundin ist auch hier. Welch eine Überraschung! Sie sind auf dem Weg zu den Stränden auf der anderen Seite der Halbinsel. Übermorgen werden sie über London nach Amerika fliegen.
Mittags fahre ich zurück nach Santiago. Blau- und Grüntöne bestimmen zunächst die Landschaft. Zwischendurch glitzert das Weiß der Strände. An der schmalen Küstenstraße stehen Kiefern, hohe Farne und der Ginster. Bei den kleinen Gehöften blühen die Obstbäume und in den ummauerten Gärten die Rosen.
Wie auf Stelzen stehen überall diese kleinen Speicher. Sie dienten ursprünglich dem Trocknen von Mais und heißen horreos. Ihre Besonderheit sind die großen flachen Steine, die jeweils den Abschluss der Sockel bilden, sodass ein Überhang entsteht, den Mäuse und sonstiges Getier nicht überwinden können. Das meist mit Ziegeln gedeckte Spitzdach, sehr oft mit einem Kreuz oder auch anderen Symbolen versehen, überragt den Speicher auf allen Seiten. Meist sehr gut erhalten und liebevoll restauriert, sind sie eine Zierde für jeden Hof.
Schnell stelle ich meinen Rucksack in der Herberge ab. Nur wenige Stunden bleiben mir, und die will ich nutzen, um mich in aller Ruhe von Santiago de Compostela zu verabschieden. Als Erstes kaufe ich ein paar Jakobsmuscheln. Und für Peter, weil er so gern Süßes mag, einen Zuckerlöffel in Form einer Muschel.
Ein letztes Mal drücke ich die schwere Klinke nieder und öffne das große Portal. Die Kathedrale ist beinahe leer. Es macht schon einen Unterschied, wenn man nicht, wie ich, ausgerechnet an einem Wochenende ankommt. Aber darauf hat man ja keinen Einfluss. Das Ende des Pilgerns ergibt sich nun mal aus der Summe vieler einzelner Pilgertage.
Gleich bei dem Eingang stehen die beiden spanischen Schwestern. Wahrscheinlich sind sie gerade erst angekommen, sie tragen noch die Rucksäcke. Wie schön, diese beiden noch einmal zu sehen. Auch sie sind überrascht. Wir kommen aufeinander zu und umarmen uns. Bien, bien, flüstern sie, und immer wieder gibt es Küsschen auf die Wange.
Diese bewegenden Momente der Begegnung, die ich während meiner Pilgerreise so oft erleben durfte, wird wohl niemand von uns Pilgern je vergessen. Es sind tiefe Erfahrungen, die mein Leben so bereichert haben, dass ich sie nie mehr missen möchte. In Dankbarkeit für all meine Weggefährten und die gesund überstandene Pilgerreise zünde ich kleine Lichter an und erbitte für uns alle eine glückliche Heimkehr. Möge uns allen eine positive Gestaltung unserer Zukunft gelingen!
Alles, was ich heute noch erlebe, wird sich nicht mehr wiederholen lassen. Ab morgen muss ich mir keine Gedanken mehr um eine Wegzehrung machen. Mit ein wenig Essen in der Tasche, Weißbrot und Salami, wird auch diese Fahrt mit der Linie sechs heute die letzte sein.
Zu einem gemütlichen Abschiedsessen gehört nun mal auch eine Flasche Vino tinto. Die nehme ich mir von dem Regal, das unsere Herbergsmutter Maria extra für uns eingerichtet hat. Maria hat zwar keine Küche, aber in einem großen Kühlschrank stehen Getränke, die wir nehmen können.
Mit Irmgard esse ich zu Abend. Sie ist aus Polen, lebt aber schon lange in Deutschland. Ich schütte ihr von meinem Wein in den Becher, und sie bietet mir von ihrer Butter an. Ich bin ganz aus dem
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