Mein Jakobsweg
aufschließt und Charles feststellt, dass er offenbar mit mir in einem Zimmer schlafen soll. Das scheint ihm unmöglich; zutiefst erschrocken fragt er, ob sie nicht noch ein Zimmer habe. Da bekomme ich mein eigenes - wie bei den Franzosen üblich mit eigenem Bad.
Das Abendessen, Salami und Brot und eine kleine Flasche Rotwein, von zu Hause mitgebracht, teile ich mit Charles. Außer ein paar Keksen hat er nichts dabei, nicht mal ein Buch über den vor ihm liegenden Weg. Typisch schottisch, denke ich und leihe ihm meines, damit er sich wenigstens Notizen über die folgenden Ortschaften und Unterkünfte machen kann.
Früh um sieben fahren wir mit dem Bus über den Somportpass, der Frankreich und Spanien verbindet. Steile Gebirgshänge tun sich zu beiden Seiten der Straße auf: Wer hier schon losgeht, ist sehr mutig.
In Canfranc-Estación, dem ersten Ort auf der spanischen Seite, steigen wir aus. Ab hier will ich pilgern. Das Tal, noch immer sehr schmal, wird beherrscht von dem Flusslauf des Aragon. Umso bemerkenswerter ist der große Bahnhof in reinstem Jugendstil, der stillgelegt und arg vernachlässigt ist. Zwar wird er gerade renoviert, danach wird er aber sicherlich eine andere Bestimmung erhalten.
Angesichts der steilen Wege gebe ich mein Vorhaben, ab hier zur pilgern, auf. Wehe, wenn ich mich schon gleich hier verletzen würde!
Also fahre ich weiter bis Jaca. Charles hat wohl auch keine Lust zu laufen, denn er schließt sich mir an. Mir ist das unverständlich: Er ist doch höchstens 40, und als Schotte ist er ja sozusagen in den Bergen zu Hause.
In Jaca führt mich mein erster Weg wie immer zur Herberge. Charles will lieber Kaffee trinken, und so trennen wir uns.
Eine sehr freundliche hospitalera, sie spricht etwas Deutsch, teilt mir ein schönes Bett zu. Hier gibt es keine Etagenbetten, stattdessen wird sogar jedes Bett mit einer kleinen Trennwand vom nächsten abgetrennt. Einzelne Betten, die gut ausgestattete kleine Küche, großzügige Aufenthaltsräume sowie die fröhliche Laune unter den Pilgern bilden den passenden Rahmen, um in Pilgerstimmung zu kommen.
La Catedral de San Pedro, im elften Jahrhundert erbaut, ist eine der vier ältestesten romanischen Kirchen auf dem Jakobsweg. Bedauerlich nur, dass sie sich so eng in das Stadtbild einfügen muss, dass sie ihre Schönheit gar nicht richtig entfalten kann. Jaca war schon zu Zeiten der Römer eine Festung, später Hauptstadt des Königreichs Aragonien. Die Zitadelle aus dem 16. Jahrhundert beherbergt auch heute noch Militär.
Die kulinarische Spezialität dieser Region scheint Kuchen zu sein. In einer Konditorei, wo diese Leckereien gleich kartonweise eingekauft werden, stecken mir spanische Frauen süße Happen in den Mund und zählen die Sorten auf, die ich unbedingt kaufen müsse. Frohen Mutes und mit einem großen Tablett voller süßer Köstlichkeiten verlasse ich das Geschäft.
Mit nur einer kleinen Schar von Kämpfern war es im achten Jahrhundert dem Grafen Aznar Galindez gelungen, sich in der Festung Jaca gegen die Angriffe der Mauren zu wehren. In diesem Kampf sollen die »tapferen Frauen von Jaca« eine wichtige Rolle gespielt haben. Jedes Jahr Anfang Mai feiert die Stadt ein Fest zur Erinnerung daran. Selbstbewusst sind die Frauen von Jaca jedenfalls immer noch, das habe ich gemerkt in der Konditorei, wo sie mich, eine fremde Pilgerin, von ihrem Kuchen haben abbeißen lassen.
San Juan de la Pena
Monde und Jahre vergehen,
aber ein schöner Moment
leuchtet das Leben hindurch.
Franz Grillparzer
D en Somportpass habe ich gewählt, weil man nur so zum Kloster San Juan de la Pena kommt. Und da will ich unbedingt hin! Allerdings ist der Aufstieg sehr mühsam und steil - für mich völlig ungeeignet. Deshalb habe ich noch am Abend ein Taxi bestellt. Als es am Morgen kommt, fahren gleich fünf weitere Pilger mit mir: drei Berlinerinnen und ein Ehepaar. Alle sind jung, noch keine 30.
Schon die Fahrt hinauf ist ein ganz besonderes Erlebnis. Wir sehen Geier fliegen und Milane, die ihre Nester hoch oben in den Steilwänden haben. Die tiefe Stille der Bergwelt wird nur vom Motor unseres Fahrzeugs auf der immer steiler werdenden Straße gestört. Diese Ruhe unterstreicht noch die Pracht der uns umgebenden Natur.
Etwas oberhalb dieses Klosters, auf etwa 1300 Meter Höhe, gibt es einen wunderbaren Aussichtspunkt, den »Balcon del Pirineo«, von wo man in ein tiefes breites Tal sehen kann. Über Felder und Wiesen mit kleinen
Weitere Kostenlose Bücher