Mein Jakobsweg
Ortschaften und verzweigten Flussläufen schweift der Blick bis hinüber zu den majestätisch aufragenden Gipfeln der Pyrenäen. Der Blick auf die über 3000 Meter hohen Giganten, auf denen weiß der Schnee glitzert, ist atemberaubend. Und wieder ziehen über allem die Raubvögel ihre Bahnen. Rötlich schimmert das Gefieder der Milane im Sonnenlicht; durch weiße Federn an Kopf und Hals lässt sich der Gänsegeier sehr gut erkennen. Es ist, als sei ich außerhalb der Zeit, als gäbe es nichts mehr als die Natur.
Das Kloster selbst, San Juan de la Pena, wurde im elften Jahrhundert unter einem riesigen Felsvorsprung auf steiler Höhe erbaut. Selbst in unruhigsten Zeiten konnte es allen Widersachern standhalten.
Der Kreuzgang, der sich unter grobem Gestein auf kleinem Raum geradezu schüchtern hinduckt, wirkt im Kontrast zu den umgebenden Gesteinsmassen derart zart, ja geradezu lieblich, dass ich glaube, mich in nichts Schönerem je bewegt zu haben. Das Innere des Klosters beherbergt einige verhältnismäßig kleine Räume mit gewölbter Decke aus Naturstein. Eine nur selten wahrgenommene Stille herrscht darin. Tief bewegt berühre ich die Steine und sehe durch ein kleines Fenster nach unten ins Tal. Es ist die Stille in diesen Mauern, die mich so sehr berührt, mir tiefen inneren Frieden gibt. Ich nehme etwas Bleibendes mit von hier oben und bin dankbar, heraufgekommen zu sein.
Welch ein Glück, dass ich das Taxi für sieben Uhr bestellt hatte und wir deshalb so früh hier oben waren! Denn jetzt kommen zwei spanische Busse. Schnell noch einmal unter den Gewölben hindurch und hie und da noch ein weiteres Foto, ehe der Lärm der Touristen diesem heiligen Ort die Stille nimmt.
Bis Santa Cruz de la Serós gehe ich erstmal auf der Straße. Die anderen haben sich für den Pilgerweg mit »Hochgebirgscharakter« entschieden. Eine der drei jungen Berlinerinnen geht jedoch mit mir: Sie muss ihr Knie schonen, das sie sich beim Abstieg vom Somportpass verletzt hat.
Radfahrer kommen uns in großer Zahl entgegen. Obwohl sie unter Aufbietung aller Kräfte gegen diesen steilen Berg ankämpfen, haben sie noch immer genug Atem, um uns Buen Camino zu wünschen oder wenigstens Hola zu sagen. Oft bleiben wir stehen, um sie vorbeizulassen oder wieder und wieder den Anblick der gewaltigen Pyrenäen zu genießen.
Blumen blühen hier in einer Üppigkeit, wie ich sie sonst von kaum einem anderen Ort kenne, schon gar nicht im Hochgebirge. Dazu Insekten, Schmetterlinge und Vögel - ein wahres Naturparadies, allerdings nur noch mit einer kurzen Gnadenfrist. Denn aus der Ruine eines weiteren Klosters, weiter oberhalb von San Juan de la Pena, entsteht gerade ein Luxushotel. Fassade, Säulen und die großzügige Gartenanlage können wir schon mal bewundern.
Ab Santa Cruz folgte ich dem Camino, also dem mit gelben Pfeilen markierten Weg, der sich mit jedem Schritt immer mehr verengt zu einem bloßen Gemsenpfad. Über weite Strecken ist er so schmal, dass ich nicht mal beide Füße nebeneinandersetzen kann. Ohne meine Walkingstöcke würde ich diese kräftezehrenden acht Kilometer niemals schaffen. Doch es ist die Mühsal wert, denn ich bin mittendrin in einer Natur ohne Menschen und lausche in einsamer Stille dem Gesang der Vögel, bestaune die Pracht der Blüten und immer wieder diesen tiefblauen Himmel.
Als ich schon nicht mehr mit ihnen gerechnet habe, überholen mich die drei Berlinerinnen. Beate hat noch Wasser, das sie mir geben kann.
Nach vielen Stunden, ich habe lange nicht mehr auf die Uhr gesehen, gelange ich zu den Häusern von Binacua.
Erschöpft sinke ich auf eine Mauer. Das Wasser ist schon seit längerer Zeit aufgebraucht, und nun bin ich innerlich überzeugt, keinen Fuß mehr bewegen zu können.
Gleich sitzt ein alter Spanier neben mir, ein junger Mann bietet sich an, mich nach Santa Cilia zu fahren. Dankbar setze ich mich in den Wagen. Wenig später fahren wir an den drei Freundinnen vorbei.
Beim Pilgerbrunnen in Santa Cilia ruht das junge Ehepaar. Sie sind auf der Straße weiter ins Tal gegangen und haben noch zwanzig Kilometer vor sich bis Arrés, dort sind sie mit ihrem Vater verabredet.
Ich komme in eine ganz tolle Herberge mit dem Komfort einer Pension, eigentlich sogar noch besser. Die Tür steht immer offen, und auf einem großen Schild ist zu lesen, dass man diese albergue jederzeit »entern« könne. Es gibt ausreichend Platz für die Mahlzeiten sowie eine komplett eingerichtete Küche mit Lebensmitteln, die man
Weitere Kostenlose Bücher