Mein Leben
des Ohrs gepikst wurden. Die Behandlung umfasste eine einstündige Sitzung täglich, und um sie durchführen zu können, mussten die Pattersons bei uns in Hurtwood wohnen. Zögerlich stimmten Alice und ich zu.
Anfangs war es sehr schwierig. George war ein frommer Christ und redete ziemlich viel von Gott, christlichem Glauben und Jesus, was mich ein wenig überforderte, weil ich mich so verletzlich fühlte. Ich hatte den Eindruck, dass er unsere Situation in gewisser Weise ausnutzte, deshalb war ich beiden gegenüber ein wenig zurückhaltend. Auch wenn ich mich natürlich schon mit Religion beschäftigt hatte, hatte ich immer Aversionen gegen jede Doktrin, und alle Spiritualität, die ich bis dahin erfahren hatte, war eher abstrakt und nicht an irgendeine anerkannte Glaubensgemeinschaft gebunden. Als vertrauenswürdigstes Vehikel der Spiritualität hatte sich für mich immer die Musik bewährt. Sie lässt sich nicht manipulieren und politisieren, und jeder Versuch, es doch zu tun, ist immer leicht zu durchschauen. Aber das konnte ich den beiden damals natürlich nicht erklären, obwohl ich es bestimmt versucht habe. Deshalb dachte ich, es sei das Beste, dem Ganzen eine Chance zu geben und zu sehen, was passieren würde.
Als Erstes erklärte Megan uns, dass wir vom ersten Tag an kein Heroin mehr nehmen dürften. Das war wirklich ein Schock, weil ich gedacht hatte, dass wir, wie auch immer, langsam entwöhnt würden.
Sie baute ihren Apparat in dem Raum neben dem Wohnzimmer auf, den wir als Arbeitszimmer benutzten, befestigte die Klammern am Ohr wie Clips und pikste die Nadeln in meine Ohrläppchen. Wenn man die Maschine einschaltete, wurde eine schwache elektrische Spannung zu den Nadeln geleitet, die mit einem Regler hochgefahren wurde, bis es anfing zu kribbeln, und dann wieder heruntergedreht, bis man sie gerade noch spürte.
Das versetzte den Patienten in einen euphorischen Zustand, der manchmal tatsächlich irgendwann in eine Art Halbschlaf überging. Auf Heroin verfällt man nach einer Weile in einen Dämmerzustand, der »in the nod« genannt wird, und die schwarze Kiste sollte den gleichen Effekt haben. Das heißt, die Behandlung bestand im Grunde aus der psychologischen und emotionalen Entwöhnung von der Droge, während die Kiste die physischen Entzugserscheinungen lindern sollte. Theoretisch sollte die Zeit, die man an die Maschine angeschlossen blieb, bei fortschreitender Behandlung immer kürzer werden.
Nach etwa fünf Tagen erklärte Megan mir, dass die Therapie nicht funktionieren würde, wenn Alice und ich nicht getrennt behandelt würden. Das Problem waren die Nächte, weil keiner von uns beiden schlafen konnte, was uns alle auslaugte. Außerdem bekam ich ernsthafte Zweifel. Anfangs hatte ich gedacht, wir hätten eine Demonstration dessen erhalten, was die Maschine zu leisten imstande war, aber jetzt dämmerte mir, dass das alles war, was wir überhaupt bekommen würden, und ich geriet in Panik. Megan und George beschlossen, dass ich aus praktischen Gründen bei ihnen in der Harley Street wohnen, während Alice in eine Klinik eingewiesen werden sollte. Ihre Probleme waren wegen des zusätzlichen massiven Alkoholkonsums noch komplizierter. Dass sie uns trennten, gefiel mir gar nicht, und ich fragte mich, warum sie, wenn überhaupt jemanden, nicht mich, sondern Alice in ein entlegenes Pflegeheim schickten, und es ist mir bis heute ein Rätsel. Sahen sie in mir vielleicht ihre große Chance, den prominenten Patienten, bei dem ihre Therapie erfolgreich war? Das wäre natürlich eine großartige Werbung für ihre Klinik, die, soviel ich weiß, nur äußerst zäh in Gang kam.
Außerdem war es entnervend, alleine mit einer fremden, total drogenfreien Familie zu leben. Doch ich wusste, dass ich alles annehmen musste, was mir angeboten wurde. Rückblickend beruhte die Therapie vermutlich auf der »Heilung« durch eine rein physische Technik verbunden mit jeder Menge liebevoller Fürsorge und strenger Diät sowie einer guten Portion von Georges christlicher Moral. Darüber hinaus behaupteten die Pattersons demonstrativ ihren starken familiären Zusammenhalt mit zwei Söhnen und einer Tochter als leuchtende Beispiele für kindliche Tugend. Als ob sie mir sagen wollten: »Siehst du, so kann es sein, wenn alle in Harmonie leben.« Aber das machte es für mich nur noch schwieriger.
Ich kann mich erinnern, dass ich einmal alleine rausdurfte, ein paar Freunde besuchte und ein wenig Visepton in die Finger bekam,
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