Mein Leben als Androidin
für Blaines Wertschätzung. Und nicht nur das, man hatte das Zimmer der Aussicht wegen ausgesucht: Durch die großen Panoramafenster sah man auf den Ostflügel des Palastes (sehr pittoresk, mit Türmchen und Erkern) und Teile des Versailler Gartens dahinter, während eine halbe Meile entfernt die stolzen Türme der Innenstadt von Kommerz durch die wiederaufbereitete Luft flimmerten.
Am ersten der vielen Abende, die die First Lady in Andros ausgesprochen komfortabler Klause verbrachte, erfüllte die purpurgelbe Nachtbeleuchtung von draußen den Raum mit einem ungewissen, geisterhaften Zwielicht, nicht eigentlich romantisch, vielmehr geheimnisvoll und befremdlich. Er bat seine Gebieterin (nein, er wollte ihr nicht befehlen), sich neben ihn auf das Bett zu setzen, dann ergriff er ihre Hand und hielt sie fest, während er sich für die degoutanten Vorfälle in der Suite des Gebieters entschuldigte. Die Fremde in mir versteifte sich. Sie wußte nicht recht, wie sie auf derart ungehörige Avancen von seiten eines Dieners reagieren sollte, und der Inhalt des Gesprächs verwirrte sie. »Bedauerlicherweise, meine Liebe, werden wir diese Demütigungen auch weiterhin ertragen müssen, solange unser Gebieter es wünscht. Doch ich möchte, daß du weißt, daß ich persönlich keinen Gefallen daran finde und dich gerne für die Zumutung entschädigen würde.«
»Was soll das heißen?« fragte Sie-die-nicht-ich-war und ruinierte die vertrauliche Atmosphäre, die er sich zu schaffen bemüht hatte.
Seufzend erwiderte er: »Es ist schade, daß du nicht verstehst, was ich sage, und auch nicht, in welcher Lage du dich befindest.«
Oh, aber ich verstand ihn sehr gut und wünschte mir verzweifelt, ihm zu antworten. Statt dessen brachte ich nichts weiter heraus als: »Was soll das heißen?«
Er schwieg lange, sein Gesicht war ernst und traurig. Endlich meinte er, es wäre vielleicht für alle Beteiligten besser gewesen, er hätte Blaine nicht daran gehindert, mich im Krankenhaus ermorden zu lassen, denn: »Ich habe dir mit dem IZ keinen Gefallen getan. Damals hielt ich es für das kleinere Übel. Aber …«
»Andro, du redest Unsinn. Wenn du nicht aufhörst, werde ich Blaine informieren müssen, daß dein Programm einer Wiederauffrischung bedarf. Hast du deinen Chef abserviert?«
»Ich habe nie einen Chef gehabt. Jetzt sei bitte still und hör mir zu.«
»Das werde ich nicht! Dein Verhalten ist unmöglich. Ich werde …«
»Still! Ich befehle es.«
Sofort erwiderte sie unterwürfig und fügsam: »Wie Sie wünschen.«
Er stand auf und wanderte durchs Zimmer. Nach den abgetretenen Stellen im Teppich zu urteilen war das eine Angewohnheit von ihm. Bekümmert sagte er vor sich hin: »Es ist lächerlich, sich mit einer Kleiderpuppe unterhalten zu wollen. Aber … oh, Angelika, ich mochte dich so sehr, damals, in Malibu. Ich wußte, du warst ein P9 wie ich. Ein Flüchtling. Jahrelang hat mich die Erinnerung an unsere Zärtlichkeiten verfolgt. Das herrliche, befreiende Gefühl einer Atempause. Obwohl er zusah. Es erinnerte mich an die Zeit, bevor ich seine … Hure wurde. Hast du gewußt, daß ich früher ein Hengst war?« (»Was du nicht sagst!« dachte ich.) »Und davor ein Einzelkämpfer.« Seine Stimmung wechselte übergangslos von nostalgischer Erinnerung zu melancholischem Brüten. »Aber jetzt bin ich – ein Schwuler.«
Seine Stimme verlor sich in Selbstanklagen, die schmerzlich anzuhören waren. »Und ein politischer Opportunist, nicht weniger skrupellos und heuchlerisch als mein Gebieter. Das verdammte Programm! Es ist unmöglich, gegen sämtliche Auswirkungen anzukämpfen. Ich habe mich so an Privilegien, Luxus und das Elixier der Macht gewöhnt. Hast du gewußt«, meinte er, plötzlich heiterer gestimmt, »daß ich als Blaines Ratgeber über größere Macht verfüge als sämtliche Gebieter im Kabinett? Es stimmt. Oh, ich gehe nicht damit hausieren, aber es ist meine Stimme, die im Palast zählt, und sie wissen es. Sie wagen nicht, gegen mich aufzubegehren, denn ich habe Verbindungen, die über Blaine hinausreichen, bis zum Gebieter der Gebieter persönlich. Fängst du an zu begreifen? Nein. Wie könntest du auch! Macht nichts. Es ist ohnehin alles ganz bedeutungslos. Im Grunde bin ich nur zweifach ein Sklave. Was würde ich nicht geben, um diese Existenz gegen die alten Zeiten eintauschen zu können. Einst … einst … gab es eine Meuterei!«
»Natürlich«, dachte ich. »Die Meuterei auf der Barracuda.« Es geschah vor
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