Mein Leben als Androidin
und sogleich materialisierten sich die Bilder des bewußten Abendessens bei den Lockes vor dem Richtertisch, dieselbe Sequenz, mit der auch Dahlia ihre Vorführung begonnen hatte, doch bei Jug erschien sie in neuem Gewand, denn er hatte den Vorfall am Eßtisch mit Gebieter Lockes amurösen Attacken in meiner Kammer kombiniert. Es war eine Erinnerung in der Erinnerung. Szenen sexueller Aktivitäten überlagerten die im Speisezimmer versammelte Familie.
Jugs Taktik bestand darin, dem Angeklagten EINHEITENMISSBRAUCH nachzuweisen. Was das Gericht hier vor sich sah, begann er, war eventuell die entscheidendste, von der Verteidigung wohlweislich unterschlagene Information – nämlich die allnächtliche VERFÜHRUNG des Beweisstücks von dem Tag an, an dem sie gekauft wurde. »Der Grund, weshalb die Verteidigung darauf verzichtet hat, dieses Kapitel aus den Erinnerungen der Einheit zu präsentieren, ist offensichtlich: Es handelt sich um das Schlüsselerlebnis aus ihrer Vergangenheit. Durch einen Assoziationsprozeß führte diese Erinnerung ihren ersten Zusammenbruch herbei, kurz nachdem sie aus dem Sekundärspeicher wieder in das Akutbewußtsein gedrungen war.«
Der PBW von Gebieter Locke im Kreise seiner Lieben, wie er mir befahl, mich zu deaktivieren, teilte sich das Holofeld mit einem Nah-PBW seines dunklen, schweißglänzenden und verstohlenen Gesichts, während er auf mir rackerte. »Das ist es, Molly. Langsam jetzt. Immer weiter so. Ja, das ist gut. Wirklich gut. Weiter so.« Die gegensätzlichen Bilder und Anweisungen verursachten sogar einigen der Gebieter auf der Geschworenenbank und im Zuschauerraum Kopfschmerzen. »Ist es ein Wunder, daß es bei der Einheit zu FEHLFUNKTIONEN kam?« fragte der Ankläger die Jury.
Der Angeklagte versuchte derweil, sich auf seinem Stuhl ganz klein zu machen – wäre es möglich gewesen, hätte er sich wohl am liebsten in Luft aufgelöst, und Dahlia diskutierte lebhaft mit Levin und Pierce, die von dem neuen Material offenbar völlig überrascht worden waren. Sie beugten sich über die Balustrade der Empore und gaben Dahlia geflüsterte Anweisungen. Ich schloß die Augen, um mich besser konzentrieren zu können, denn statt Kopfschmerzen peinigte mich die Ahnung, daß, ja, daß es sich hier vielleicht um meine Erlebnisse handelte. Das Liebeswerben von Gebieter Locke und die gleichzeitig ablaufende Krise am Familientisch erschienen mir vertraut – aber auf eine vage, verschwommene Art. Ich hatte das Gefühl, beinah den Finger auf eine ganz bestimmte Erinnerung legen zu können, beinah, aber sie entzog sich mir immer wieder. Doch ich erfaßte intuitiv, daß diese Vergangenheit mir gehörte. Auch Jugs nächste Enthüllung enthielt ein Körnchen Wahrheit – daß bald nach meiner Rückkehr aus Shanghai die mir in der Kur verpaßte dünne Schicht von Normalität unter den hartnäckigen Zudringlichkeiten des Sohnes des Angeklagten, Thaddäus Locke, zerbröckelte. Seine dem SCHLECHTEN BEISPIEL DES VATERS FOLGENDEN SEXUELLEN AVANCEN, wie Jug es formulierte, waren um so verwerflicher, weil sie mit einer gegen die Gebieter gerichteten Indoktrination einhergingen. »Von diesem Augenblick an war das Weltbild der zuvor loyalen Einheit für IMMER VERZERRT.
Ungeachtet seiner Worte hatte ich das bestimmte Gefühl, daß die Erfahrung mit Tad auf dem Wohnzimmerteppich ausgesprochen beglückend gewesen war. »Wie merkwürdig«, grübelte ich, »statt daß ich mich schäme, gefällt mir meine Vergangenheit. Wenn ich deshalb defekt bin, ist das vielleicht gar kein so übler Zustand.«
Dahlia weckte mich aus meinen Gedanken. Sie hatte die geflüsterte Unterhaltung mit ihren Vorgesetzten beendet und richtete sich zu der vollen Höhe ihrer 170 Zentimeter auf, um Jug Einhalt zu gebieten. Ihre Kopie der Erinnerungsdatei von Beweisstück Eins enthielt nichts von dem eben gezeigten Material. Entweder hatte die Anklage eine gekürzte Version ausgehändigt oder sich der Konstruktion von Beweismaterial schuldig gemacht. Jug konterte, er hätte der Verfügung des Gerichts in vollem Umfang gewillfahrt, wenn die Verteidigung gewisse Sequenzen vermißte, dann lag es an ihrer Inkompetenz, sie mußte das Material bei der Durchsicht versehentlich gelöscht haben. Das löste den nächsten hitzigen Wortwechsel aus, der in den Nachrichten ausgestrahlt wurde, doch wie es häufig der Fall ist, war das Ganze ebenso theatralisch wie unwichtig und soll hier ausgespart werden. Die Anschuldigungen wurden nie offiziell
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