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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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eigentlich immer so an Ralle fasziniert hatte.

Jan

    Donnerstagvormittag. Jan ist zu Besuch. Zum Frühstück. Das ist sehr ungewöhnlich. Denn eigentlich besucht Jan niemanden mehr.
    Schon seit einiger Zeit hat Jan Angst vor Menschen. Große Angst. Aus gutem Grund.
    Denn Jan kennt sich mit Computern aus. Ziemlich gut sogar. Tatsächlich ist es sein Beruf. Und alle seine Freunde und Bekannten wissen das. Aber nicht nur die. Auch die Bekannten der Bekannten von entfernten Bekannten dieser Freunde und Bekannten wissen: Jan kennt sich ziemlich gut mit Computern aus. Deshalb hat Jan heute Angst vor Menschen.
    Sobald er irgendwo auftaucht, bildet sich in Windeseile eine Traube um ihn, und alle, alle haben schlimme Fragen.
    Insofern fühle ich mich von seinem Besuch durchaus geehrt. War eigentlich völlig unkompliziert. Eine einfache eidesstattliche Erklärung, daß ich zur Zeit keinerlei Computerprobleme habe, natürlich notariell beglaubigt und durch Amtsboten zugestellt, reichte, und zack!, schon hat er zugesagt.
    Natürlich habe ich versucht, ihm zu erklären, so schlimm sei das doch nun auch wieder nicht. Die paar Fragen. Er solle sich nicht so anstellen. Aber Jan schüttelt nur den Kopf.
    - Horst, bitte. Wo immer ich hingehe, nach fünf Minuten kommen die Menschen mit ihren Computerproblemen an. Immer. Vor einem halben Jahr wäre ich fast an einer Blinddarmentzündung gestorben. Zuerst war in der Notaufnahme noch alles gut. »Schlimmer Blinddarm! Ohohoh, sofort operieren, riesige Schmerzen. Aua, aua, aua!!!« Es war wunderbar. Aber dann fragt mich der Aufnahmearzt nach meinem Beruf. Ab da hat sich niemand mehr für meinen Blinddarm interessiert. Die Ärzte und Schwestern wollten mit mir nur noch über irgendwelche Installationsprobleme reden. Der Anästhesist wollte mich nicht betäuben, weil er noch einige Fragen hatte, und noch auf dem Operationstisch fragte mich der Chirurg, wie er denn ganz legal und für umsonst die neueste Staffel von »Grey’s Anatomie« aus dem Internet saugen könne.
    Ich stutze.
    - Wie, das geht?
    - Ja, das geht.
    - Ganz legal?
    - Mehr oder weniger, sozusagen, quasi beinahe fast ganz legal.
    - Ach. Na ja, mir wär das ja nix mit diesem ganzen Filmesaugen und so, aber nur mal zur Sicherheit, also damit ich es nicht versehentlich mache: Wie genau geht das denn?
    - Horst, du würdest es nicht verstehen.
    Na super. Ganz toll. Obwohl, recht hat er wahrscheinlich. Mein Problem zur Zeit ist ohnehin mehr, daß ich vor kurzem und unabsichtlich ein neues Virenschutzprogramm installiert habe, durch welches ich jetzt gut die Hälfte meiner Software irgendwie nicht mehr nutzen kann, weshalb ich Jan ja auch eigentlich zum Frühstück eingeladen habe, was mir im Moment aber schwerfällt anzusprechen, allein auch schon wegen dieser blöden eidesstattlichen Erklärung. Versuche es lieber unverfänglich.
    - Mensch Jan, was ist denn so schlimm daran, wenn dir mal einer eine Frage zu Computern stellt?
    - Mal eine Frage? Alle haben immer Fragen. Tausende Fragen. Ich habe oft das Gefühl, ich werde nur noch deshalb eingeladen. Manchmal fühl ich mich regelrecht ausgenutzt.
    - Nein… nein, das glaub ich nicht. Wer würde denn sowas tun?
    - Aber wenn’s nur eine klare Frage wäre. Es ist ja immer ein Wust. Und die Antworten kapieren sie sowieso nicht. Dabei ist es eigentlich überhaupt nicht… Gut, Horst, stell du dir doch mal vor, du würdest dich gut mit Computern auskennen.
    Ich muß lachen.
    - Super, und wenn ich damit fertig bin, stell ich mir auch noch gleich mal vor, ich hätte langes, lockiges Haar.
    - Gutgutgut, dann stell dir eben einfach mal vor, du wärst Experte für Wasserhähne.
    - Für was?
    - Wasserhähne. Kennst du dich total gut mit aus. Der Umgang mit Wasserhähnen ist für dich vollkommen simpel.
    - Ja, ist er ja doch auch, eigentlich. Oder?
    - Doch, doch. Aber fast alle anderen haben keine Ahnung von Wasserhähnen. Alle haben Wasserhähne zu Hause, finden es toll, wie da das Wasser rauskommt, haben aber keine Ahnung, wie das alles genau funktioniert. Die verschiedenen Anwendungsbereiche: Waschen, Kochen, Trinken, Blumengießen. Finden sie alles super, wollen das alles auch, aber begreifen zum Beispiel einfach nicht, wie sie das Wasser vom Wasserhahn in ein Glas kriegen. Also erklärst du: Wasserhahn auf, Glas drunter und so weiter… Aber die hören nicht einfach nur ruhig zu. Sondern werden wütend: Jaja, das wissen sie alles, aber mit ihrem Glas funktioniert das einfach nicht, und das,

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