Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht, sie hatte bei ihrem Vordringen ganze Dörfer ausgelöscht. Diese Leute töteten wahllos – Frauen, Kinder, sogar das Vieh. Sie griffen säkulare Schulen an und ermordeten Lehrer, Schulleiterinnen, manchmal sogar Schülerinnen und Schüler. Das meiste zu diesem Thema erfuhr ich durch die Lektüre von al-Ansar, und dieses Blatt berichtete nicht nur über die Angriffe, sondern lieferte gleich noch die theologische Rechtfertigung mit. Es behauptete, diese Angriffe auf Zivilisten seien gerechtfertigt, denn diese Menschen unterstützten den Kurs des feindlichen Regimes, und damit war nichts anderes gemeint, als dass diese Menschen nicht die GIA unterstützten. Amin und Yasin und den anderen schien dies alles vollkommen plausibel zu sein. Aber ich hielt es für völlig falsch.
Die GIA unternahm immer stärkere Anstrengungen, Frankreich in diesen Krieg hineinzuziehen. Französische Staatsangehörige wurden zu bevorzugten Zielen. Im Frühherbst hatte die GIA fünf Angestellte der französischen Botschaft getötet.
Die meisten Menschen an Bord der Air-France-Maschine waren Muslime. Die Leute, die einen Hin- und Rückflug von Paris nach Algier buchten, waren meistens Einwanderer, die in der alten Heimat ihre Familien besuchten. Aber der GIA war das egal. Sie wollte der Welt nur zeigen, dass sie Frankreich angreifen konnte. Ein solcher Anschlag hatte für sie nur symbolische Bedeutung.
Die Flugzeugentführung begann mit einem Mord. Die Luftpiraten hatten Kalaschnikows in das Flugzeug geschmuggelt, und nach ein paar Stunden warfen sie den Leichnam eines der Passagiere aus der Maschine. Es war ein algerischer Polizeibeamter, der mit einem Kopfschuss getötet worden war. Die Entführer sagten den Behörden, sie würden, falls ihnen der Start verweigert würde, weitere Passagiere umbringen. Aber die algerischen Behörden verweigerten die Starterlaubnis, und wenig später töteten die GIA-Leute einen zweiten Passagier und warfen auch dessen Leiche auf die Rollbahn hinab. All dies geschah in den ersten paar Stunden.
In unserem Haus gab es kein Fernsehgerät. Fernsehen ist natürlich tahout . Aber die Ereignisse entwickelten sich so schnell, dass ich durch bloße Zeitungslektüre bei Fnac nicht Schritt halten konnte. Also kaufte ich mir ein kleines Fernsehgerät und schaffte es heimlich in mein Zimmer. Wie gebannt saß ich während der gesamten Entführung vor dem Gerät.
Einen Tag nach der Übernahme des Flugzeugs durch die Luftpiraten stand die Maschine immer noch auf dem Rollfeld in Algier. Das Militär ließ einen Start noch immer nicht zu. Am späten Abend des 25. Dezember töteten die Entführer einen dritten Passagier mit einem Kopfschuss und warfen die Leiche, wie nach den beiden anderen Morden, auf die Rollbahn.
Es war eine äußerst seltsame Erfahrung, all dies im Fernsehen zu verfolgen. Monatelang hatte ich in al-Ansar und manchmal auch in den französischen Zeitungen diese furchtbaren Geschichten gelesen – Berichte von Enthauptungen, Massenmorden, Autobomben. Doch so etwas im Fernsehen mitzuverfolgen war etwas anderes. Zu sehen, wie Leichname auf die Rollbahn geworfen wurden, sich vorzustellen, was in der Maschine geschah – ich fühlte mich körperlich krank, auf eine Art, wie ich das auf dem Fußboden bei Fnac bei der Zeitungslektüre niemals empfunden hatte. Ich dachte immer wieder an die Menschen im Flugzeug, daran, wie verängstigt sie sein mussten. Sie hatten nichts Unrechtes getan. Sie hatten nur ihre Familien besucht, und jetzt waren sie in einen Alptraum geraten.
Ich war unglaublich nervös, während ich zusah, wie sich die Ereignisse entwickelten. Die meiste Zeit blieb ich in meinem Zimmer, sah fern und betete, dass sie keine weiteren Menschen umbringen würden. Einmal ging ich jedoch nach unten, um etwas zu essen, und traf Amin, Yasin, Hakim und Tarek im Wohnzimmer an. Bei ihrer Unterhaltung über die Flugzeugentführung klangen sie sehr aufgeregt und glücklich. Sie hofften auf ein Massaker, das die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen würde. Als ich das hörte, wurde mir noch viel elender zumute.
Nach drei Tagen ging die Entführung zu Ende. Die Maschine erhielt die Starterlaubnis, und die Luftpiraten wurden zu einer Landung in Marseille verlockt, wo die Franzosen das Flugzeug stürmten. Dabei kam es zu einem Feuergefecht. Die französische Polizei und die Luftpiraten schossen in der Maschine aufeinander, und die Passagiere waren immer noch an
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