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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Omar Nasiri
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fast eine Stunde im Mondlicht, bis uns Abu Bakr auf einem Plateau anhalten ließ.
    „Kann mir irgendjemand die Richtung der qiblah angeben?“, fragte er und meinte damit die Richtung nach Mekka. Zahlreiche Hände gingen in die Höhe und wiesen in die unterschiedlichsten Richtungen. Man konnte sehen, dass Abu Bakr nicht sehr beeindruckt war.
    Ich hob die Hand. „Es liegt in der entgegengesetzten Richtung des Mondaufgangs.“Ich merkte, dass er eigentlich gar nicht wissen wollte, wo genau Mekka lag, sondern wie unser Denken funktionierte.
    Ich wusste eine Menge über Himmelskörper und Planeten, da mich als Kind Sciencefiction-Geschichten fasziniert hatten. Dies hatte sich in meiner Zeit in Paris und Brüssel zu einem allgemeinen Interesse für die Naturwissenschaften weiterentwickelt. Da Sonne und Mond im Osten aufgingen und wir hier in Afghanistan waren, also Mekka im Westen von uns lag, war meine Schlussfolgerung sehr einfach gewesen. Als ich all dies meinen Brüdern erklärte, nickte Abu Bakr.
    „Masha’alla, Abu Imam“, sagte er. „Das ist eine gute Antwort.“
     
    Nach diesem kleinen Test lief er weiter, und wir folgten ihm. Nach etwa einer weiteren halben Stunde hielt er wieder an.
    „Wenn ich,Deckung‘rufe“, erklärte er uns, während wir uns in der bitteren Kälte dicht aneinanderdrängten, „müsst ihr euch sofort auf den Boden fallen lassen. Ihr habt dazu allerhöchstens fünf Sekunden Zeit.“Er machte uns klar, wie wichtig es sei, sofort in Deckung zu gehen, wenn wir über uns einen Hubschrauber fliegen hörten. Dieser würde uns nicht so leicht entdecken, wenn wir uns über eine möglichst große Fläche verteilten. Aus diesem Grunde sollten wir mindestens fünf Meter Abstand zum nächsten Bruder halten. Ideal seien sogar zehn Meter.
    Und dann rannte er weiter und lief und lief. Erst nach wenigstens fünfundvierzig Minuten gab er uns das vereinbarte Signal. Sobald wir es hörten, ließen wir uns sofort zu Boden fallen. Wahrscheinlich lagen wir jetzt näher beieinander, als er es uns erklärt hatte, aber es war so dunkel, dass wir kaum sehen konnten, wo sich unsere Nachbarn befanden. Darüber hinaus wussten wir, dass rechts von uns eine tiefe Schlucht lag. Deshalb wollte sich keiner von uns zu weit von der Gruppe entfernen. Schon während des Laufs hatten wir versucht, Tuchfühlung zu unserem jeweiligen Vordermann zu halten und nie mehr als sechzig Zentimeter zwischen ihn und uns kommen zu lassen.
    Ich lag erst einige Sekunden auf dem Boden, als ich ein Geräusch hörte und fühlte, wie etwas an meiner rechten Schulter vorbeizischte. Und dann kam noch ein Geräusch, und etwas schlug unmittelbar rechts von mir ein und wirbelte Staub auf. Plötzlich begriff ich, dass dies Kugeln waren. Abu Bakr schoss auf mich.
    Dann hörte ich jemanden meinen Namen sagen. Ich hob den Kopf vom Boden und erblickte Abu Bakr, der direkt über mir stand. Tat-tat. Er feuerte noch zweimal, wobei die Einschläge nur Zentimeter neben meiner Schulter lagen.
    „Vorwärts, Abu Imam!“, befahl er mir. „Du liegst viel zu nahe an deinem Bruder.“Dann drehte er sich um, ging zum nächsten Bruder hinüber und fing erneut an zu schießen.
     
    Später in dieser Nacht wiederholte er dieses Spiel. Wir waren inzwischen fast fünf Stunden unterwegs, als er erneut „Deckung“befahl. Inzwischen waren wir alle völlig erschöpft. Einige Brüder hatten sich überhaupt nicht mehr zu Boden geworfen, sie hatten seine Anweisungen inzwischen vollständig vergessen.
    Tat-tat-tat-tat. Abu Bakr begann sofort, auf diese Männer zu schießen. Kugeln zischten links und rechts an ihnen vorbei – manche davon höchstens in sechs Zentimetern Entfernung. Ich merkte, dass einige von ihnen vor lauter Angst nicht mehr wagten, sich zu bewegen.
    Mir wurde jetzt endgültig klar, dass eine Kugel aus Abu Bakrs Gewehr niemals einen Bruder treffen würde. Er war ein ausgezeichneter Schütze, der sich auf seine Fertigkeiten vollkommen verlassen konnte. Dies war einfach nur seine ganz eigene Art gewesen, uns daran zu erinnern, dass wir seine Befehle besser befolgen sollten.
     
    Bei allem, was er tat, war Abu Bakr Perfektionist. Und er bestand auf eiserner Disziplin. Eines Tages konnte ich beobachten, wie einige Mitglieder der Gruppe, die er gerade ausbildete, durch das Flussbett krochen. Es war bereits Spätherbst, und das Wasser eisig kalt. Und doch arbeiteten sich diese Brüder, ihre Kalaschnikows vor sich haltend, auf allen vieren durch das steinige

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