Mein Leben für dich
und entdecke schließlich Kai Thalbach und Carolin von Sebald. Sie unterhalten sich angeregt mit den Gästen. Am lautesten und auffälligsten gebärdet sich natürlich wieder mein Lieblingsschauspieler, aber ich habe mir vorgenommen, heute etwas netter zu ihm zu sein. Mia zuliebe. Ich frage mich allerdings, wo sie steckt. Anscheinend ist sie noch immer mit ihrer Kleiderwahl beschäftigt.
Was meine Spontanaktion von vorhin betrifft: Mittlerweile weiß ich nicht, ob der Umschlag mit dem Geld und dem Zettel nicht doch etwas übertrieben war und Mia mich jetzt für komplett bescheuert hält. Immerhin hätte ich ihr das, was ich ihr umständlich geschrieben habe, ja auch selbst sagen können. Aber … nein, hätte ich eben nicht. Dazu hätte mir der Mut gefehlt. Trotzdem frage ich mich, was mich geritten hat, ganze fünfhundert Euro zu spenden. Immerhin bräuchte ich das Geld mehr als dringend, aber ich wollte Mia damit klarmachen, dass sie sich nicht in mir getäuscht hat und ich tatsächlich ein anständiger Kerl sein kann. Die Frage ist nur: War es wirklich mein Anliegen, mit dem Geld Gutes zu bezwecken, oder nicht vielmehr der bescheuerte Glaube, mich damit von meinem schlechten Gewissen freikaufen zu können, das ich mit mir herumschleppe, seit ich wieder für Rick arbeite? Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.
Plötzlich erspähe ich Mia und mein Herz setzt einen Schlag aus. Sie betritt den Raum, und es ist, als würde gleichzeitig ein Sonnenstrahl durchs Zimmer huschen. Ihre Wangen sind leicht gerötet, ihre Augen leuchten und sie trägt … das hellgrüne Kleid. Vorsichtig hebt sie den Saum, als sie auf die unterste Stufe der Bühne steigt, um sich etwas größer zu machen und ihren Blick über die Menge schweifen zu lassen. Ich glaube, sie genießt den Anblick der vielen Menschen, die sie hierhergelockt hat. Und auch ich spüre einen Funken Freude in mir aufglimmen, weil ich weiß, wie aufgeregt sie war und wie wichtig es für sie ist, dass diese Sache ein Erfolg wird.
Als Mia mich erblickt, bleiben ihre Augen an meinen haften. Wir sehen uns an, sie und ich. Und dann lächelt sie und im selben Moment kapiere ich, dass sie mich gesucht hat, um mir – ebenfalls ohne ein gesprochenes Wort – etwas mitzuteilen. Ihr Lächeln und das Kleid, das sie trägt, sind ihre Reaktion auf meine Zeilen. Eine Antwort. Es war richtig, sie ihr zu schreiben, denke ich voller Erleichterung. Es war richtig, ihr zu sagen, dass sie mir etwas bedeutet, auch wenn ich es ihr nicht immer zeigen kann. Ich lächle zurück.
»Mein sehr verehrtes Publikum, wie wunderbar, dass Sie so zahlreich erschienen sind! Sie sind großartig, wirklich großartig!« Kai Thalbach ist jetzt von vorne auf die Bühne gesprungen und eröffnet das Spendenkonzert. Ich muss sagen, er macht das wirklich gut. Er weiß, mit welchen billigen Sprüchen er Lacher hervorrufen, mit welchen Kinderfotos er den Leuten mitleidvolle Seufzer entlocken und mit welchen Blicken er sie fesseln kann. Er ist ein Showmensch und hier kann er sein Talent wenigstens sinnvoll einsetzen. Als er Mia auf die Bühne bittet und sie vorstellt, denke ich automatisch wieder an den Moment, als er hinter ihrem Rücken die Pistole abgefeuert hat und ich ohne zu überlegen auf die Bühne gestürzt bin, um Mia zu Boden zu reißen und sie mit meinem eigenen Körper zu beschützen. Schon damals hatte sie sich in mein Herz geschmuggelt, auch wenn ich es noch nicht richtig erkannt hatte oder es nicht wahrhaben wollte. Ich hätte in dem Augenblick alles für sie getan, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wirklich alles. Und zwar nicht nur, weil es mein Job war.
»Na, wieder mal bloß in zweiter Reihe?« Carolin von Sebald taucht plötzlich neben mir auf. »Es ist nicht leicht, immer nur aus dem Hintergrund zuzusehen und zu wissen, dass man den Menschen, den man liebt, letztendlich doch nicht zu beschützen vermag, nicht wahr? Tja, man kann nur für ihn da sein, in Zeiten der Not auftauchen, um kurz darauf gleich wieder unsichtbar zu werden. Damit muss man sich zufriedengeben.«
Ich runzle die Stirn. »Sprichst du über mich oder über dich?«
Caro zuckt mit den Schultern. »Ich schätze, über uns beide. He, was meinst du? Sollen wir uns nicht vielleicht zusammentun? Wäre doch eigentlich sinnvoll, so wie ich die Lage einschätze.« Sie lacht zwar, während sie das sagt, aber ihre Augen sind verbittert.
Ich betrachte Carolin von Sebald und auf einmal tut sie mir einfach nur noch leid.
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