Mein Leben für dich
sie sich im siebten Himmel fühlt und nie wieder einen anderen an die Wäsche lassen will.
Ich schiele zu Mia Falkenstein. Sie hat den Kopf ein wenig zur Seite geneigt und scheint vollkommen vertieft in das Stück. Die Bühnenlichter strahlen ein sanftes Licht ab, das ihre braunen Locken seidig schimmern lässt. Ich muss an mich halten, um nicht darüberzustreichen. Nicht nur, weil ich glaube, dass es sich verdammt gut anfühlen würde, sondern auch, weil sie mir so, wie sie da sitzt, total klein und verletzlich vorkommt. Zum ersten Mal überlege ich, ob ich mit meiner Menschenkenntnis in ihrem Fall vielleicht danebenliege. Keine Ahnung, warum, aber plötzlich strahlt sie etwas aus, das ich nicht einordnen kann.
Ich wende schnell den Blick von ihr ab. Es hat keinen Sinn, sich den Kopf über sie zu zerbrechen. In Kürze wird Mia Falkenstein schon Vergangenheit für mich sein. Und das ist auch gut so. Bis dahin werde ich meinen Job tun und aufpassen, dass ihr niemand das Handtäschchen klaut. Denn ganz ehrlich, wer sollte ihr am helllichten Tage schon ernsthaft etwas anhaben wollen? Aber bitte, Falkenstein hat anscheinend genügend Kohle, um sein Töchterchen von jemandem begleiten zu lassen. Und wenn er sich dadurch besser fühlt …
Nach der Vorstellung kann ich Mia leider nicht dazu bringen, sofort von hier zu verschwinden, obwohl ich nichts mehr hasse, als einfach nur blöd in der Gegend herumzustehen. Vor allem unter Leuten, mit denen ich rein gar nichts gemeinsam habe.
»Was wollen wir denn noch hier?«, frage ich Mia, aber sie würdigt mich keines Blickes. Sie ist vollauf damit beschäftigt, ihr Umfeld zu beobachten und dabei so lässig wie möglich auszusehen. Alles klar, jetzt weiß ich, was läuft. Sie hält schon wieder Ausschau nach diesem Schönling mit seinem Zahnpastagrinsen. Sie kann mir erzählen, was sie will, aber es ist ganz offensichtlich, dass sie auf diesen schmierigen Vogel abfährt.
»Ich schätze, dein Nicht-Schwarm ist schon abgezischt, falls du den suchst«, bemerke ich leicht ironisch, aber Mia bleibt unbeirrt. Sie schlendert durchs Foyer, sieht sich die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos früherer Theateraufführungen an, spielt versonnen mit einer Haarsträhne und blättert zwischendurch, ohne wirklich hineinzusehen, in ihrem Programmheftchen herum. Erst habe ich keinen blassen Schimmer, was sie mit ihrem Verhalten bezweckt, und überlege, ob sie mich ganz einfach damit ärgern will. Aber dann, als sie von zwei Damen angequatscht wird und übertrieben freudig auf deren Fragen eingeht, checke ich, was hier abgeht. Ganz klar, das alte Spiel: Sehen und Gesehenwerden.
Das Krasse ist, Mias Plan geht tatsächlich auf. Anscheinend spricht es sich plötzlich wie ein Lauffeuer herum, dass die Tochter des Hoteliers Robert Falkenstein in der Stadt ist. Es wird getuschelt, verstohlen auf sie gedeutet und ihr Äußeres unter die Lupe genommen. Immer mehr Leute schütteln ihr die Hand und beteuern, wie sehr sie sich doch freuen, dass Mia nun auch in Hamburg lebt, und wie glücklich ihr Vater darüber sein muss. Und Mia lächelt, nickt und geht auf jeden Einzelnen so scheißfreundlich ein, als stünde ihre allerbeste Freundin vor ihr.
Ich bestaune dieses Schauspiel mit einer Mischung aus Faszination und Grauen. Wo hat Mia gelernt, sich auf diese Weise in den Mittelpunkt zu stellen? Ich könnte das nicht! Diese gespielte Freundlichkeit und dieses oberflächliche Getue finde ich zum Kotzen, echt. Schon allein das Gespräch mit Falkenstein heute Morgen hat mich total geschlaucht.
Nach einer guten halben Stunde pirsche ich mich an Mia heran und passe einen geeigneten Moment ab, um sie anzuquatschen. »Äh, nur so, damit ich mich darauf einstellen kann: Wie lange hast du noch vor, mit diesen Langweilern abzuhängen? Ich schlafe gleich ein.«
»Dann hol dir irgendetwas mit Koffein. Mir gefällt es und die Leute sind nicht langweilig, sondern haben Niveau.«
Ich fass es nicht. Mia kann doch nicht allen Ernstes behaupten, dass ihr das Spaß macht.
»Gib’s zu«, zische ich, »in Wirklichkeit öden dich die Typen auch an. Ich hab dich beobachtet. Du lächelst zwar ununterbrochen, aber deine gute Laune wirkt nicht echt. Wahrscheinlich denkst du die ganze Zeit an etwas anderes, während du zum x-ten Mal wiederholst, wie toll du die Stadt findest und welche wertvollen Erfahrungen du in der Schweiz gesammelt hast.« Ich tue so, als wolle ich mir den Finger in den Hals stecken.
»Pft, du hast einfach keine
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