Mein Leben in 80 B
haben, denn außer einem zarten Bussi auf die Wange gab es keinerlei erwähnenswerte Annäherung. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mich zu ihm unter die Decke zu kuscheln, mich zu Hause zu fühlen und von seinem Schnarchen in den Schlaf wiegen zu lassen – und der Angst, mich neben meinem Mann nie wieder so wohl zu fühlen wie vor der Reise nach Sylt.
Tatsächlich wälzte ich mich die halbe Nacht im Bett herum, stand schließlich sehr früh am Morgen auf und ging unter die Dusche. Vielleicht in der Hoffnung, die Gedanken an Oke einfach mit heißem Wasser abzuspülen. Funktionierte natürlich nicht.
Mit einem großen Pott Kaffee setzte ich mich an meinen Schreibtisch, um die Post der vergangenen Tage zu öffnen. Bis ich die Kinder wecken und in die Schule bringen musste, blieb mir noch reichlich Zeit.
Während ich gepolsterte Umschläge mit Warenproben von Lucinda-Dessous öffnete, Rechnungen sortierte und die erste Weihnachtspost las, war ich in Gedanken auf einer wunderschönen Nordseeinsel. Was Oke um diese Zeit wohl machte? Wahrscheinlich lag er noch friedlich schlummernd im Bett. In dem Bett, in dem ich auch gelegen hatte. In dem Bett, aus dem ich geflüchtet war.
Schließlich warf ich die alten Briefumschläge in den Papiermüll, holte mein Handy und schrieb Oke eine Nachricht.
Hallo, Meisterkoch, alles schön bei dir? Ich bin gut zu Hause und auch fast schon wieder im Alltag angekommen. LG Ilse.
Ohne lange zu überlegen, drückte ich auf «Senden» und kam mir erst danach richtig bescheuert vor. Was hatte mich da denn geritten? So eine Nachricht hätte ich auch meinem Steuerberater schicken können, total unpersönlich und nichtssagend. Aber ich wollte etwas von Oke hören, wollte wissen, was er tat und ob er auch an mich dachte. Auf keinen Fall sollte der Kontakt zwischen uns sofort wieder abreißen. Und um wenigstens mir selbst gegenüber ehrlich zu sein, musste ich wohl zugeben, dass ich ein klein wenig verknallt war.
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13. Kapitel
Die Tage vergingen wie im Flug. Ich kümmerte mich um die Kinder, begann damit, Weihnachtsbesorgungen zu erledigen und meine Liste für den Winterurlaub abzuarbeiten. Und ich brachte Oma Etti zum Flughafen. Nach mehreren Tagen und Nächten war die Erinnerung an Okes Vanillegeruch nach und nach schwächer geworden. Die Gedanken an ihn allerdings nicht. Auf meine blöde SMS hatte er spät in der Nacht geantwortet, zum Glück hatte das Handy auf meinem Schreibtisch und nicht wie sonst neben dem Bett gelegen. Seitdem simsten Oke und ich uns ab und zu oder schrieben E-Mails, in denen wir Wetterinfos über Sylt und Brandenburg austauschten, ich mir Kochtipps einholte oder ihm lustige Geschichten über Tom erzählte.
Hallo, liebe Ilse, hier hat es heute geschneit, sieht wunderschön aus. LG Oke oder
Tom hat heute gesagt, Rotkäppchen-Sekt sei Ossi-Prosecco – was trinkst du? LG Ilse oder
Muss heute ein Buffet für 60 Personen anrichten, deshalb wenig Zeit. LG Oke
Kurz und knapp, unregelmäßig und unverbindlich. Ich fühlte mich Oke nahe, ohne das Gefühl zu haben, etwas Verbotenes zu tun. Die Frage, ob es mir gefallen würde, wenn Toni mit irgendeiner Frau auf ähnliche Weise in Kontakt stünde, stellte ich mir lieber nicht. Bisher hatte ich Toni nichts von meiner Begegnung mit Oke erzählt. Meinem Alltag zwischen Aufstehen, Schulbrote schmieren und Einkaufen waren keine Sylt-Nachwirkungen anzumerken. Toni war wie immer und schien an mir keine Veränderung festgestellt zu haben. Elissa hatte recht: Es war ja wirklich nichts passiert. Warum sollte ich Unruhe in meine Ehe bringen, nur weil ich mich ein bisschen danebenbenommen hatte? Das passierte doch dauernd irgendwo auf der Welt in den besten Familien.
Ein paar Tage vor Weihnachten fand ich mich auf dem schwarzen Ledersofa im Wohnzimmer meiner Nachbarin Sabrina wieder, rechts von mir Victoria, ebenfalls eine Nachbarin, und auf dem zweiten Sofa uns gegenüber saßen Susanne und Annette. Auf dem Boden zwischen uns lag ein Kuhfell, darauf stand ein sehr flacher, sehr großer Couchtisch voller benutzter Gläser und einer derartigen Menge leerer Sektflaschen, dass man eher an ein Klassenfest als an eine Verkaufsparty für sexy Unterwäsche denken konnte.
Sabrina hatte mit großem Erfolg im Hort ihrer kleinen Tochter eine Einladung zu einer Dessous-Party aufgehängt. Fast zwanzig sexuell ausgehungerte Damen im Alter von zwanzig bis Mitte vierzig hatten sich in den
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