Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
denn schließlich hat sie mich freiwillig adoptiert. Cally wohnt in San Francisco, und sie sagt, dort ist die meiste Zeit über immer das gleiche Wetter. Es gibt keine Tornados, keine Schneestürme, keine sengenden Hitzewellen, die braune, tote Erde zurücklassen. Es gibt immer nur den gleichen, ewigen, geisttötenden Tag mit 21 Grad. Anfangs war ich davon fasziniert. Es kam mir sogar irgendwie magisch vor. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto größer wurde mein Unbehagen. Schließlich begriff ich, warum. Es hat etwas unbestimmt Gefängnishaftes. In gewisser Weise wirkt es völlig leidenschaftslos. Wie soll man unterschiedliche emotionale und seelische Zustände erleben, wenn man in einer ewig gleichförmigen Umgebung lebt? Darauf läuft das Dasein im Gefängnis hinaus – das Dasein in einer beständigen, die Seele raubenden Umgebung. So etwas kann dich betäuben, bevor du weißt, wie dir geschieht, und ehe du dichs versiehst, bist du geistig verkümmert und versteinert.
Cally spendete auch außergewöhnlich hohe Beträge für unsere Verteidigungsbemühungen, und in all den Jahren meiner Haft ist ihre Unterstützung und ihre Zuneigung niemals ins Wanken geraten.
In den ersten Jahren wechselten Jason und ich Briefe mit Hilfe unserer diversen Besucher. Wir ermahnten einander, nicht aufzugeben, die Hoffnung zu behalten und unter allen Umständen weiterzukämpfen. Er beschrieb mir, unter welchen Bedingungen die normale Gefängnispopulation lebt – und alles, was Sie über das Gefängnis gelesen haben, stimmt doppelt und dreifach. Die Gewalttätigkeit ist unfassbar, und Jason wurde auf unaussprechliche Weise misshandelt. Unter anderem erlitt er einmal einen Schädelbruch und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, nachdem ein anderer Häftling ihn mit dem Kopf zuerst auf den Betonboden geschleudert hatte. Er erzählte mir, er habe seinen Angreifer gar nicht gesehen. Er war mein bester Freund gewesen, und ich vermisste ihn in diesen Jahren sehr, obwohl er ganz in der Nähe war. Wärter und Verwaltung achteten wie besessen darauf, dass wir niemals miteinander sprachen. Als einmal ein Brief entdeckt wurde, drohten sie Jason, und danach versuchten wir kaum noch, miteinander zu kommunizieren.
Ich war noch ein Kind, als man mich in den Todestrakt schickte. Erst in diesem Höllenloch bin ich geistig und körperlich erwachsen geworden. Mit großen Augen und naiv bin ich in dieser Situation gelandet, und heute betrachte ich nahezu alles und jeden mit schmalen, misstrauischen Augen. Ich habe auf die harte Tour gelernt, dass die Welt nicht mein Freund ist, und ich dachte, mehr oder weniger die gesamte Menschheit wollte, dass ich eines langsamen, qualvollen Todes sterbe, bis ein Wunder geschah. Anscheinend war meine Hoffnung auf ein göttliches Eingreifen nicht vollständig unbegründet.
Eins ist mir im Gefängnis immer wieder aufgefallen – nämlich, wie schnell die Leute draußen dich vergessen. Ihr Leben bleibt nicht einfach stehen, nur weil deins das tut. Früher oder später lassen sie die Trauer hinter sich und schauen nach vorn. Sogar deine eigene Familie. Zwei Jahre sind eine lange Zeit für jemanden, der an deiner Seite stehen soll, wenn du im Gefängnis bist. Die meisten halten so lange gar nicht durch. Domini hat ihr Leben weitergeführt; sie ist heute verheiratet, hat eine wunderschöne Tochter und wohnt weit weg auf der anderen Seite des Kontinents. Meinen Vater habe ich seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gesehen. Er hat sich um eine neue Familie zu kümmern und sie zu versorgen. Viel hätte er für mich sowieso nicht tun können.
Zwischen Oktober 2009 und September 2010 stellten wir den Antrag, mit einem mündlichen Vortrag vor dem Obersten Gericht von Arkansas um die Eröffnung eines neuen Verfahrens ersuchen zu dürfen, auf Grundlage der in den letzten zehn Jahren zusammengetragenen neuen Beweise und DNS -Untersuchungen. Für eine solche Anhörung gibt es keine Garantie, und inzwischen waren Lorri und ich zermürbt von der langen Prozedur. Wir hatten jede Möglichkeit ausgeschöpft, neue Beweise für meine Unschuld ans Licht zu bringen, und nichts davon war von Erfolg gekrönt. Wir hatten alles, was wir für diese Schlacht brauchten, aber es gelang uns nicht, die Justiz dazu zu bringen, uns ihre Aufmerksamkeit zu schenken, und allmählich wurde die Zeit knapp. Für uns sah es aus, als würden wir für den Rest unseres Lebens etwas Unerreichbarem nachjagen.
Ich war umgeben von Menschen, die
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