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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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ihrer selbst andauernd sehen, aber die meisten ziehen es vor, sie einfach auszublenden. Die Worte ergeben nicht einmal Sinn für mich, und ich weiß, dass es wahr ist. Mit sieben habe ich den Geist meines achtzehnjährigen Ich gesehen. Seit jenem Tag habe ich mir selbst in den Hintern getreten, weil ich keine Fragen gestellt habe. Ich habe keine Ahnung, was mein achtzehnjähriges Ich mir damals hätte sagen können. Vielleicht überhaupt nichts. Trotzdem kann ich mir nicht helfen – ich sehe es als verpasste Gelegenheit. Irgendwie war da ein leichtes Fluktuieren in der Strömung, und ich drang gleichzeitig in zweifacher Gestalt durch das Gewebe.
    Der Versuch, die Bedeutung solcher Ereignisse herauszufinden, kann einen in den Wahnsinn treiben. Vielleicht war es nur eine Art Schluckauf. Aber vielleicht habe ich auch eine herkulische Anstrengung unternommen, die Hand nach mir selbst auszustrecken, und mehr habe ich nicht zustande gebracht.
    Ich habe mich immer gefragt, ob irgendein Ich von mir im Todestrakt gestorben ist, sodass jedes andere Ich zurückgeschnellt ist wie ein gerissenes Gummiband, und jetzt verfolgen sie einander. Aber inzwischen bezweifle ich das, auch wenn es keine andere Antwort gibt, die wahrscheinlicher wäre. Es fühlt sich einfach nicht richtig an.
    Solche Dinge sind immer am stärksten im Dezember, wenn das Jahr schon dünn und durchsichtig ist wie Plastikfolie. In der Mitte meiner Brust frohlockt etwas, weil dies mein Geburtsmonat ist, und es schwärmt wie ein religiöser Eiferer mit einem Mundvoll Halleluja.
    11. DEZEMBER
    Ich habe an meinem Geburtstag noch nie die Sonne gesehen. Sie scheint dann einfach nicht. Dieser eine Tag ist unsterblich, und er wartet in Ewigkeit darauf, dass ich einmal im Jahr zu ihm zurückkehre. Er ist ein denkendes graues Zimmer, das außerhalb der Rotationsmacht der Welt steht. Dies ist der Tag der winterlichen Finsternis, der Friedhof meiner Entfremdung. Ein Stundenglas misst die Zeit, und es ist mit Schnee gefüllt, nicht mit Sand.
    Dieser Tag kommt einem Ritual oder einer Tradition näher als die meisten anderen Gewohnheiten in meiner Familie. Es ist der stillste Tag des Jahres. Kein Vogelzwitschern, keine Fehlzündungen und kein Lachen. Er umschließt mich wie ein weicher, beruhigender Kokon und bewahrt mich wie ein Geheimnis. Selbst die Bilder an den Wänden singen stumm sein Lied. Wenn es je auch nur einen Tag auf Marlou Island gegeben hat, dann wäre es dieser Tag.
    25. DEZEMBER
    Der Weihnachtstag selbst ist immer bittersüß, denn es ist der letzte Tag dieser wunderschönen Magick, die sich im Laufe des Monats wie eine Flutwelle aufgebaut hat. In nur einer Woche wird es schwer sein, sich noch daran zu erinnern, wie er gewesen ist. Der Gedanke daran, dass er wieder für ein ganzes Jahr dahin ist, wird mir das Herz brechen.
    Zu Hause war mir Heiligabend immer lieber als Weihnachten. Die ganze Familie kam dann zur Party herüber. Es gab Sandwiches, selbst gebackene Plätzchen, Süßigkeiten und Chips mit Dips, und alle waren in bester Stimmung. Wenn sie weg waren, durften meine Schwester und ich Schlag Mitternacht unsere Geschenke auspacken, wenn ich nicht zur Christmette in St. Michael war. Wenn doch, packten wir alles aus, sowie ich nach Hause kam. Im Haus war es immer so warm. Niemand war jemals schlecht gelaunt, denn wir erlebten die Magick, die sich seit Monaten angesammelt hatte. Sie ließ die Augen meiner Mutter funkeln.
    Es ist inzwischen rund vierzehn Jahre her, dass ich Weihnachten richtig gefeiert oder an diesem Tag auch nur ein anständiges Essen bekommen habe. Das Gefühl, das dieser Tag mit sich bringt, vermochte durch die Betonwände dringen, aber hier ist niemand, mit dem ich es teilen, und nichts, was ich damit anfangen könnte. Ich wäre schon glücklich, auf der Straße einem Fremden zu begegnen und ihn sagen zu hören: » Frohe Weihnachten « , sodass ich es auch zu ihm sagen könnte. Ich möchte dick eingemummelt unter dem schiefergrauen Nachmittagshimmel spazieren gehen. Ich möchte dasitzen und die glitzernden Bäume anschauen und dabei Eierpunsch trinken. Draußen in der Welt würde die Luft sich anfühlen wie eine Spieldose, genau wie in den alten Zeiten.
    Dies ist die Jahreszeit, in der es mich am meisten schmerzt, hier zu sein. Der Sommer ist vielleicht eine Qual für meinen Körper, aber dass ich diese Magick versäume, das tut meiner Seele weh.
    Der Dezember schmeckt wie Hershey’s Kisses. Der Monat Dezember und diese kleinen

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