Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Symptome gut. Zum Glück hatte sie noch Zeit, den Notarzt und dann meine Mutter anzurufen, als der zweite kam. Es war spät am Abend, als meine Mutter schrie, wir müssten los. Wir beeilten uns, so gut es ging, aber der Krankenwagen war vor uns da. Als wir in Lakeshore ankamen, hatten die Sanitäter meine Großmutter schon auf der Trage.
Es war surreal, denn die Sonne war längst untergegangen, aber es war noch nicht völlig dunkel. Die Farbe des Himmels war eine wunderschöne Mischung aus Dunkelblau und Lila. Ein ganz spezielles, magisches Gefühl hing in der Luft, wie ich es in meinem ganzen Leben nur wenige Male wahrgenommen habe. Es berührt etwas in dir, und es ist so verdammt schön, dass du glaubst, du musst sterben, weil du es nicht erträgst. Ein solcher Augenblick ist nicht Teil einer Jahreszeit. Nicht Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter. Es ist ein Tag, der für sich allein steht, eine Welt für sich.
Die roten Blinklichter des Krankenwagens, die durch die ganze Welt blitzten, ohne ein Geräusch zu machen, hatten etwas an sich, das meinem Herzen wehtat. Keine laute Sirene, nur dieses blitzende rote Licht. Ich wusste, mit meiner Großmutter war alles okay. An einem solchen Abend ist mit jedem alles okay.
Meine Mutter sprang aus dem Truck und sagte, wer sie war. Sie ließen sie mit meiner Großmutter, die kaum bei Bewusstsein war, mit dem Krankenwagen fahren. Wir fuhren hinterher. Im Krankenhaus wurde sie sofort in die Notaufnahme gebracht, wo ihr Kardiologe schon wartete.
Wir saßen im Wartezimmer und blätterten in Illustrierten, ohne zu lesen, was auf den Seiten stand, und wir gingen auf dem Flur auf und ab und starrten auf den Fernseher hoch oben in der Ecke, ohne etwas zu sehen. Als der Arzt schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auftauchte, nahm er meine Mutter zur Seite und erklärte, er habe getan, was er könne, aber sie rechneten nicht damit, dass meine Großmutter die Nacht überleben werde. Wir schliefen im Wartezimmer, und jedes Mal, wenn ein Arzt vorbeikam, rechneten wir mit dem Schlimmsten. Aber in dieser Nacht geschah es nicht und am nächsten Tag auch nicht.
Am Nachmittag kam der Arzt und sprach wieder mit meiner Mutter. Meine Großmutter lebe noch, aber der Zustand sei kritisch. Ein neues Problem sei, dass sie Blutgerinnsel im Bein habe: Das Bein müsse amputiert werden. Er bezweifle, dass sie die Operation überstehen werde, aber ohne sie werde sie ganz sicher sterben.
Wir alle wohnten fast zwei Wochen in diesem Wartezimmer im Krankenhaus. Ich hatte nichts dagegen; es war komfortabler als zu Hause. Die Luft war angenehm und kühl, alles war makellos sauber, und es gab sogar Kabelfernsehen. Zum Essen brachte Jack Sandwiches von zu Hause mit oder, wenn er genug Geld zusammenkratzen konnte, Hamburger aus einem Fast-Food-Lokal. In der Cafeteria aßen wir nur einmal, denn das Essen war sehr teuer. Ab und zu schlich ich mich hinunter und griff ein paar Handvoll Cracker oder Brotsticks von der Salatbar ab, wenn niemand hinschaute. Ich liebte das Krankenhausessen. Ich fand es köstlich.
Als ich zu meiner Großmutter hineindurfte, war sie vom Morphium so high, dass sie nicht wusste, was um sie herum vorging. Kraftlos hob sie die Hand, zeigte auf den Spiegel an der Wand und bat mich, das Programm umzuschalten. Sie nannte mich » kleiner Scheißer « und erzählte, wir würden Vampirjäger werden, denn für ein Vampir-Ei bekäme man eine fette Belohnung. Als der Arzt die Morphiumdosis langsam reduzierte, kam sie wieder in die Realität zurück. Sie sollte doch noch überleben, aber jetzt hatte sie nur noch ein Bein.
Eine fünfundsechzigjährige Beinamputierte mit zwei Herzinfarkten auf dem Buckel konnte nicht selbst für sich sorgen. Dass sie in unserer Bruchbude wohnte, konnte man auch nicht erwarten. Also mussten wir zu ihr ziehen.
Ich konnte meine paar Habseligkeiten gar nicht schnell genug packen, als ich wusste, dass meine Zeit in der Hütte zu Ende war. Das war zu schön, um wahr zu sein: Ich entkam der Hölle. Ich würde diesen Ort nie wiedersehen. Ich verschwendete keine Zeit damit, mich ein letztes Mal umzusehen, denn es gab nichts, wovon ich mich verabschieden wollte. Wir besaßen nicht viel, das sich mitzunehmen lohnte, nur unsere Kleider und ein paar Hausgeräte. Die Möbel gehörten auf den Müll.
Ah, aber eine Kostbarkeit fand ich, bevor ich ging. Ein Abschiedsgeschenk von den Geistern. Es gab nur einen Wandschrank im Haus, und der war seit Jahren nicht mehr
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