Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
die Nacht hinein. Ich nahm es mit in die Schule und las in jeder freien Minute weiter. Ich war fasziniert und verliebte mich in die katholische Kirche. Mein Leben lang war ich gezwungen worden, gegen meinen Willen in protestantische Kirchen zu gehen. Jetzt sehnte ich mich verzweifelt danach, eine katholische zu besuchen. Ich wollte sehen, wovon ich da las, und ich wollte alles aus erster Hand erleben. Kniebeugen, Weihwasser, Rosenkranzgebet, die Stationen des Kreuzwegs und vor allem die Kommunion – ich war hingerissen von dieser Vorstellung. Das war ein Christentum, wie ich es noch nie gesehen hatte. Von dem Augenblick an, da man durch die Tür tritt, das Knie beugt und sich bekreuzigt, dreht sich alles um Respekt, um die Würde des Geistes. Es war wunderschön.
Anfangs wagte ich nicht, Jack oder meiner Mutter zu sagen, dass ich in eine katholische Kirche gehen wollte. Im Süden herrschen immer noch große Vorurteile gegen den Katholizismus. Das Wort » katholisch « wird oft in einem Ton ausgesprochen, als sei es eine Beleidigung, und ich habe einmal jemanden sagen hören, eine Christophorus-Medaille sei » satanisch « . Der Süden ist das Reich der Baptistenkirche, und für jeden, der nicht dieser Konfession angehört, kann es ein grausamer Ort sein.
Ich wusste, dass Jack derjenige war, der seine Erlaubnis geben musste, und ich wusste, dass ich es ihm in einer Sprache erklären musste, die er verstand. Also teilte ich ihm eines Tages mit, ich hätte den » Ruf « Gottes gehört, und ich müsse jetzt herausfinden, wohin ich gehörte. Wenn man in den Kirchen, die Jack aufsuchte, erklärte, man habe einen » Ruf « gehört, bedeutete das, man habe unmittelbar Gottes Stimme vernommen oder Seine Gegenwart gespürt, und Er habe befohlen, irgendetwas zu tun. Der Rest der Welt konnte einen solchen » Ruf « auf alle möglichen Arten deuten, als Intuition oder auch als psychotische Episode. Aber er verstand. Und wenn ich spürte, dass Gott mir etwas befahl, dann wäre Jack Echols der Letzte, der sich ihm in den Weg stellte. Vielleicht respektierte er mich nicht, aber das, was er als Gottes Willen wahrnahm, würde er respektieren.
Als er fragte, wohin ich wolle, war mir klar, dass ich nicht einfach herausplatzen und sagen konnte: » In die katholische Kirche. « Das hätte ihn misstrauisch gemacht. Stattdessen sagte ich, am besten würde ich Verschiedenes ausprobieren, und ich würde schon wissen, wenn ich das Richtige gefunden hätte. Er nickte, und damit war dieses Gespräch zu Ende.
Es gab nur eine katholische Kirche in West Memphis, und das war St. Michael. Sie war klein, verglichen mit den großen Kathedralen der örtlichen Baptisten, aber sie war gut gepflegt und in makellosem Zustand. Draußen standen Steinbänke und eine kleine Statue des hl. Franziskus. Der Rasen war geharkt, und auf dem ganzen Gelände fand man keinen Dreck oder auch nur ein herabgefallenes Blatt. Das Wort, das mir immer wieder in den Sinn kommt, ist » Würde « . Dieser Ort besaß Würde, und er ermutigte alle, die ihn betraten, sie auch zu haben. Die ganze Atmosphäre versprach, dass man hier keine Menschen sehen würde, die sich schreiend auf dem Boden wälzten.
Ich ließ mich dort absetzen, ging hinein und suchte mir einen Platz. Ich folgte dem Beispiel der Leute um mich herum und kniete auf der gepolsterten Bank nieder, um ein kurzes » Hallo, hier bin ich « zu der Macht im Universum hinaufzuschicken, die da zuhörte, wer immer es sein mochte. Es war völlig still – keine kreischenden Kinder, keine Männer in billigen Anzügen, die einander unflätige Grüße zubrüllten. Alle saßen still auf ihrem Platz und warteten. Es war kein unbehagliches Schweigen, im Gegenteil, es war sehr entspannend und friedlich, und man konnte seinen eigenen Gedanken nachhängen, ohne dass man gestört wurde. Ich fühlte mich willkommen dort.
Die Orgel fing leise an zu spielen, und alle standen auf, als der Priester und die Messdiener in einer Prozession durch den Mittelgang nach vorn kamen. Ich konnte den Blick nicht von dieser kleinen Parade wenden. Die Gewänder, die Kerzen, das erhobene Buch – was ich da sah, war reine Magick. Begeistert verfolgte ich jeden Augenblick und genoss das Erlebnis. Nach der Anfangszeremonie sprach der Priester ungefähr eine halbe Stunde lang mit ruhiger, leiser Stimme über das, was er soeben vorgelesen hatte. Er brüllte nicht, er schlug nicht mit der Faust auf die Kanzel, und ich hörte kein Wort über das
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