Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
hatten selten einen festen Job, aber ein paar von ihnen arbeiteten in der benachbarten Kartonagenfabrik. Die meisten waren selbstständige Diebe oder Schrottsammler, die Kupfer und jedes andere verkäufliche Metall sammelten. Sucht in jeder Form – Alkohol und Meth waren am meisten verbreitet – diente als täglicher Zeitvertreib.
Leute, die es gesehen haben, seit ich vor vielen Jahren dort weggegangen bin, erzählen mir, dass es sich verändert hat. Es ist sauber dort; die Bewohner pflanzen Blumen in ihre Gärten, und sie waschen ihre Autos. Sie gehen nachbarschaftlich und freundlich miteinander um, und es gibt sogar Polizisten, die da wohnen. Alte Leute verbringen ihren Ruhestand dort. Vermutlich würde man es heute als eine Gegend der unteren Mittelklasse betrachten. Das ist ein großer Unterschied im Vergleich zu den Tagen, als ich es kannte. Die Veränderung macht mich traurig, denn es ist, als wären die letzten Spuren dessen, was ich als mein Zuhause kannte, inzwischen ausradiert. Die Welt hat sich weitergedreht, während ich hier hinter diesen Mauern war. Ich habe keine Wurzeln mehr. Mir ist, als wäre da draußen eine ganz neue Welt, und ich bin ein alter Mann an Körper und Geist, wenn auch nicht an Jahren.
» Lakeshore « heißt Seeufer, und im Herzen von Lakeshore war tatsächlich ein See. Ein See, so grün und schaumig, dass fast keine Fische mehr darin lebten. Man riet uns entschieden davon ab, darin zu schwimmen, weil es nicht klug wäre, das Wasser zu schlucken. Der Grund dieses Sees war ein alter Friedhof für Zeitungsautomaten, Schubkaren, Sprungrahmen und Matratzen, verrostete Fahrräder, verhedderte Angelschnüre, kaputte Köderkästen, zerbrochene Angelruten und was einem sonst noch so einfiel. Bevor wir vor Gericht kamen, behaupteten die Cops, sie hätten dort ein Messer gefunden, das bei den Morden benutzt worden sei. Das bezweifle ich nicht einen Augenblick lang, und ich würde mich nicht wundern, wenn sie noch ein Dutzend mehr gefunden hätten. Meine Anwälte vermuteten, man habe es dort hineingeworfen, um mich zu belasten, und das stimmt vielleicht auch. Aber ebenso wahrscheinlich ist, dass es einfach einer der vielen Leute hineingeworfen hat, die den See als ihre private Müllkippe benutzten.
Der See war ein Monster, und ich vermisse ihn schrecklich. Heute finde ich ihn schön, auf seine eigene grüne schaumige Art, aber ich kann verstehen, dass jemand, dem meine Nostalgie abgeht, es anders sieht. Für mich ist dieser See jetzt wie der Ganges: Er kann den Schmerz, die Angst, das Leid und das Elend abwaschen – eben alles, was die jahrelange Haft für etwas, das ich nicht getan habe, hinterlassen hat. Dieser See ist jetzt etwas Magisches für mich geworden, und er versinnbildlicht » Heimat « für mich mehr noch als der Mississippi.
Wenn man über sein Leben schreibt, kann man unmöglich jede Einzelheit erwähnen, denn sonst würde selbst ein völlig ereignisloses Leben mehrere Bände füllen. Man muss über sein Leben zurückschauen und sich fragen: » Was war wirklich wichtig? Was waren die großen Augenblicke, die mich geformt und zu dem gemacht haben, was ich bin? « Für mich war eins dieser großen Ereignisse mein Eintritt in die römisch-katholische Kirche.
Soweit ich zurückdenken kann, habe ich immer ein äußerst großes Interesse an Religion, Spiritualität und Spiritualismus gehabt. Für mich umfassen diese Begriffe ein breites Spektrum von Themen wie Hellsehen, übersinnliche Wahrnehmung, Erscheinungen und Spukphänomene, Druidentum, Reinkarnation und Wiedergeburt, Prophetie und auch die Teilnahme an der Messe und das Gebet. Ich war ungefähr im vierten Schuljahr, als ich anfing, Bücher über Nostradamus, Edgar Cayce, Astralwanderung und die Heilkraft von Kristallen und Steinen zu lesen. Wenn etwas auf irgendeine Weise mit Spiritualität zu tun hatte, interessierte es mich. Ich glaube, es hat etwas mit den vielen Predigten über Hass, Angst und den Zorn Gottes zu tun, die ich mir anhören musste. Vermutlich brauchte ich einen Ausgleich.
Eines Tages schaute ich mir die Reihen der Bücher in der Bibliothek an und entdeckte ein glänzendes neues Buch über den Katholizismus, geschrieben für Teenager. Es sollte jungen Katholiken die Bedeutung all dessen erklären, was sie während der Messe zu tun hatten. Ich war vierzehn oder fünfzehn, als ich das Buch fand, und ich war noch nie in einer katholischen Kirche gewesen.
Ich nahm das Buch mit nach Hause und las bis tief in
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