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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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hineingekommen waren.
    Jedenfalls hatte Jerry Driver meinen persönlichen Besitz als » Beweismaterial « mitgenommen. Als Beweismaterial wofür, sagte er nicht. Das sollte ich erst einige Zeit später erfahren, und es würde auch eine Weile dauern, bis ich Lakeshore wiedersähe. Vorläufig war ich auf dem Weg ins Irrenhaus.
    Als wir dort ankamen, waren alle Patienten schon ins Bett gebracht worden. Es war gegen zehn Uhr abends, und alles war still. Mit seinem amtlichen Tonfall hatte Driver meine Mutter und meinen Vater restlos überzeugt, dass er zu alldem berechtigt war und dass sie in dieser Angelegenheit gar keine Wahl hatten. Sie saßen in dem kleinen Büro und gaben der Frau, die bei neuen Patienten für den Papierkram zuständig war, meine persönlichen Daten. Der Vorgang dauerte dreißig Minuten, und Jerry Drive saß die ganze Zeit schweigend dabei und hörte zu. Ich war äußerst nervös, denn ich war noch nie an so einem Ort gewesen. Was mich hier erwarten würde, konnte ich nur auf den Erfahrungen aus dem Gefängnis gründen, das ich gerade verlassen hatte, und daher rechnete ich mit dem Schlimmsten. Drivers Autorität wurde weder von mir noch von meinen Eltern hinterfragt; ich hielt ihn für einen regulären Polizisten. Keinem von uns war klar, dass wir gegen seine Entscheidungen protestieren konnten. Unser Handeln war von der Angst vor den Konsequenzen bestimmt – und währenddessen wurden uns, ohne dass wir es wussten, unsere Rechte nicht erklärt. Sie wurden uns einfach genommen, und wir ahnten nichts davon.
    Eine Krankenschwester führte mich durch zwei große Türen nach hinten ins Innere des Gebäudes. Als ich ging, beantwortete meine Mutter immer noch Fragen: ob ich gegen irgendetwas allergisch sei, wann ich Geburtstag hätte, ob es in meiner Familie bestimmte Erkrankungen gegeben habe. Nie ging es um meinen Geisteszustand oder mein Verhalten. Auf der anderen Seite dieser Türen war es nicht annähernd so hübsch wie in dem Vorraum, den wir jetzt verlassen hatten, aber es war kein Gruselkabinett. Das Mobiliar schien aus Plastik zu sein, sodass es keine Flecken geben konnte, wenn jemand kotzte oder sich die Hose nass machte. Man brauchte es – ein zusätzlicher Bonus – nur mit dem Schlauch abzuspritzen, wenn es mit Fäkalien beschmiert werden sollte.
    Ich musste mich an einen kleinen Tisch setzen, wo ich einem großen, schlanken Schwarzen namens Ron vorgestellt wurde. Er sah den Inhalt meines Koffers durch, notierte alles, was ich bei mir hatte, und brachte mich dann in ein Zimmer. Darin standen zwei Betten, ein Tisch, ein Stuhl und ein kleiner Schrank. Ich war allein; das andere Bett war nicht belegt. Ich hatte in den letzten Wochen so viel Stress und Trauma erlebt, dass ich sofort in einen tiefen Schlaf versank und erst am nächsten Morgen wieder aufwachte.
    Die Tage dort fingen damit an, dass eine Schwester morgens um sechs zum Wecken kam. Sie schaltete das Licht ein, ging von Zimmer zu Zimmer und befahl allen, sich zum Frühstück fertig zu machen. Alle standen auf, duschten, zogen sich an und vollzogen die Morgenrituale, die ein Verrückter eben vollzieht, wenn er allein ist. Danach marschierten wir hinunter in den Tagesraum, setzten uns auf die kotzeabweisenden Sofas und starrten einander an, bis es sieben war.
    An meinem ersten Morgen waren nur drei andere Patienten da. Die Erste, die ich sah, war ein blondes Mädchen, das mit dem Rücken zu mir dasaß und einen Guns-N’-Roses-Song sang. Ich betrachtete eine Zeitlang ihren Hinterkopf, bis ich neugierig wurde und mich fragte, wie sie wohl von vorn aussah. Als ich meine Neugier nicht mehr zügeln konnte, ging ich um sie herum. Sie blickte zu mir auf, und ihre eisblauen Augen sahen aus, als schlafe sie halb oder als sei sie komplett hypnotisiert. Sie lächelte, aber ihr Blick genügte, um erkennen zu lassen, dass etwa an diesem Bild nicht stimmte. Sie sah glücklich aus, und das zu Recht, denn sie wurde an diesem Tag entlassen. Ihr Name war Michelle, und sie erzählte mir, sie sei hier, weil sie versucht hatte, sich umzubringen, indem sie Heftzwecken und Haarklammern verschluckt hatte.
    Bald kam ein zweiter Patient herein. Er trug Bermudashorts und Flip-Flops und hätte mühelos als Michelles Zwillingsbruder durchgehen können. Ich habe nie erfahren, warum er da war, und er wurde auch nicht mal drei Tage später entlassen. Der dritte Patient war ein junger Schwarzer, der mir von allen dreien am normalsten vorkam. Er ging am nächsten Tag

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