Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
sprechen. Wir waren alle drei in einem Schockzustand. Jessie hob nie den Kopf; er starrte immer nur auf seine Füße. Jason sah wütend aus, und wenn es uns gelang, Blickkontakt herzustellen, schüttelte er nur fassungslos vor Staunen und Ungläubigkeit den Kopf.
Ich würde bei der Geburt meines Sohnes nicht dabei sein können. Auch das wurde mir genommen. Am Morgen des 9. September streckte eine Wärterin den Kopf durch die Tür und sagte mir, ich sei jetzt Vater. Das war die ganze Feier.
Wir bekamen einen Jungen. Domini gab ihm meinen Vornamen, nur anders geschrieben: Damian. Ich gab ihm den Zweitnamen Seth, und so nennt ihn jeder. Und wir gaben ihm noch einen dritten Namen, Azariah, nur um sicherzugehen, dass er nie unter Minderwertigkeitskomplexen leiden würde. Ich war nicht da, um die Urkunden zu unterschreiben, und deshalb trägt er Dominis Nachnamen. Sie brachte ihn jede Woche mit, damit ich ihn zwanzig Minuten sehen konnte, aber ich konnte ihn nicht berühren. Nur einmal durfte ich ihn anfassen und halten, und das war ein paar Monate später während des Prozesses. Während die Kameras liefen, erlaubte das Gericht um der Bilder willen, dass ich meinen Sohn auf den Arm nahm.
Mein Vater oder meine Großmutter brachte mir jede Woche fünf Taschenbücher aus einem Secondhand-Buchladen am Ort. Bei ihrem nächsten Besuch hatte ich sie meistens alle gelesen. Ich hatte immer schon gern gelesen, aber in dieser Zeit konnte ich nur über diesen Büchern den Alptraum meines Lebens vergessen. Ich verkroch mich in ihnen und ging für ein paar Stunden woandershin. Die anderen Jungs staunten, wie viel und wie schnell ich lesen konnte; daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Während ich eingesperrt war, habe ich ein paar tausend Bücher gelesen. Ohne Bücher wäre ich schon vor langer Zeit wahnsinnig geworden.
Fünf Monate vergingen in diesem Trott. Ich bekam weiter meine Antidepressiva. Sie lenkten mich zeitweilig ab, aber die Wirkung hielt nie lange an – Tag für Tag schwebte die ungewisse Drohung meines bevorstehenden Prozesses über mir. In einem Hearing im Oktober wurde entschieden, dass Jason, der bei seiner Verhaftung erst sechzehn gewesen war, nach dem Erwachsenenstrafrecht vor Gericht stehen würde. Trotz des Beweismaterials, das Ron und Glori, wie sie mir erzählten, gefunden hatten, bestärkten die Resultate sie oft nur in dem Gedanken, dass ich wahrscheinlich zum Tode verurteilt werden würde. Sie meinten, ich würde ganz sicher des Mordes für schuldig befunden werden, und sie arbeiteten auf die Möglichkeit hin, ein späteres Revisionsverfahren zu gewinnen. Aber zunächst würde man mich wegen Mordes verurteilen.
Weihnachten kam und ging, und in dem Vakuum, in dem ich lebte, hätte es ebenso gut der 4. Juli sein können. Alles, was ich kannte, war fort, restlos verschwunden. Zwischen dieser Zeit und dem Februar 1994 hörte oder sah ich Ron nur selten persönlich, aber man sagte mir, er ermittle in dem Fall und finde fast täglich nützliche Informationen. Er studierte die Polizeiakten von West Memphis und fand Ungenauigkeiten, Unstimmigkeiten und unzuverlässige Informationen und Hinweise in den Berichten, auf die er meine Verteidiger hinwies. Leider unterließen es meine Anwälte (ich hatte jetzt zusätzlich zu Davidson noch einen Anwalt namens Val Price zugewiesen bekommen), die Informationen und Hinweise, die er ihnen lieferte, zu benutzen oder weiter zu verfolgen. Sie riefen die Zeugen, die eine Aussage zu meinem Aufenthalt in der Mordnacht hätten machen können, nicht einmal an – Zeugen, die Ron ausfindig gemacht und befragt hatte. Um diese Informationen zu verwenden, hätten meine Anwälte eidesstattliche Versicherungen von diesen Zeugen einholen müssen, aber das war ein zusätzlicher Aufwand, den sie für mich nie auf sich nehmen wollten. Sie versuchten nie, mein Alibi nachzuweisen.
Glori dagegen kam fast jedes Wochenende, und sie brachte immer Pizza mit. Damals kam es mir so vor, als läge ihr wirklich etwas an dem Fall, denn sie und Ron gaben sich ungeheure Mühe, besuchten mich nach Feierabend und berichteten mir von ihren Fortschritten. Später stellte ich fest, dass sie vom Gericht bezahlt worden waren und in Wahrheit nicht mehr getan hatten als das, was ein Ermittler in einer solchen Situation zu tun hat. Aber zu meinem Geburtstag brachte Glori mir sogar eine Schachtel Cupcakes mit. Wir saßen allein in einem kleinen Büro, aßen die Kuchen und besprachen den Fall. Sie gab mir
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