Mein Leben
wagten, behördliche Anordnungen zu umgehen, wurden angeblich streng bestraft. Wie würde man, fragte ich mich ängstlich, mit jugendlichen Missetätern verfahren, die obendrein noch Juden waren? So sah ich zitternd und zugleich entzückt Willi Forsts »Maskerade«. Aber ich hatte Glück, denn weder damals noch später – von nun an interessierten mich fast ausschließlich Filme, die nur für Erwachsene zugelassen waren – habe ich die Kontrolle, vor der ich mich immer so fürchtete, erleben müssen. Die Polizei hatte in jenen Jahren offenbar andere Aufgaben, als sich um die Überprüfung des Kinopublikums zu kümmern.
Als Paula Wesselys Partner sah man in diesem besonders schönen Film Adolf Wohlbrück, einen Schauspieler jüdischer Herkunft, der in Österreich lebte und kurz darauf nach England emigrierte, wo er unter dem Namen Anton Walbrook erfolgreich war. Er gehörte zu den vielen bedeutenden Regisseuren und Schauspielern, auf die das deutsche Theater jetzt verzichten mußte. Max Reinhardt, Leopold Jessner und Erwin Piscator, Marlene Dietrich, Elisabeth Bergner und Lilli Palmer, Albert Bassermann, Ernst Deutsch und Fritz Kortner, Tilla Durieux, Lucie Mannheim und Grete Mosheim, Therese Giehse, Helene Weigel und Rosa Valetti, Ernst Busch, Alexander Granach, Peter Lorre und Max Pallenberg – sie alle und viele andere, deren Namen mittlerweile schon vergessen sind, mußten emigrieren: Weil sie Juden oder jüdischer Herkunft waren oder weil sie im »Dritten Reich« unter keinen Umständen leben wollten.
Doch war in der Weimarer Republik die Zahl der originellen, der bedeutenden Regisseure, Schauspieler und Bühnenbildner ungewöhnlich groß gewesen. An denjenigen, die in Deutschland geblieben waren, zeigten sich die nationalsozialistischen Kulturpolitiker sofort interessiert – auch wenn sie eine linke oder gar kommunistische Vergangenheit hatten wie der Schauspieler Heinrich George, wie der Regisseur Erich Engel, wie die Bühnenbildner Traugott Müller und Caspar Neher oder jüdisch »versippt« waren wie die Schauspieler Hans Albers, Paul Bildt, Theo Lingen oder Paul Henckels.
Denn dem »Dritten Reich« war sehr daran gelegen, das hohe Niveau des Berliner Theaterlebens vor 1933 aufrechtzuerhalten. Das ist zum Teil gelungen, allerdings nur zum Teil: Was die meisten Berliner Bühnen ab 1933 zu bieten hatten, war in der Regel mittelmäßig. Aber im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt und im angeschlossenen »Kleinen Haus«, die beide von Gustaf Gründgens geleitet wurden (ihn hatte 1928 Max Reinhardt nach Berlin geholt), sowie im Deutschen Theater und in den Kammerspielen, die Heinz Hilpert unterstanden, der noch unlängst Reinhardts engster Mitarbeiter und erster Regisseur gewesen war, wurde die Theaterkultur der Weimarer Republik auf eindrucksvolle, bisweilen auf glanzvolle Weise kontinuiert. Ähnliches gilt für die Staatsoper Unter den Linden, an der, ein ungewöhnlicher Fall, der Jude Leo Blech bis 1937 als Generalmusikdirektor tätig sein durfte.
Was sich auf diesen Bühnen abspielte, hatte mit den Wünschen der Kulturpolitiker des »Dritten Reichs«, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nichts gemein. Gründgens – und das muß ihm hoch angerechnet werden – hat aus dem Haus am Gendarmenmarkt eine Insel gemacht, die in den Jahren des Terrors Unterschlupf für die besten Bühnenkünstler bot, zumal für jene, denen das Regime (meist nicht ohne Grund) mißtraute. So konnte – um sich auf dieses Beispiel zu beschränken – der Regisseur Jürgen Fehling, der vom jetzt verfemten und geächteten Expressionismus herkam und aus dem Ensemble Leopold Jessners, im Haus von Gründgens sein außerordentliches Talent ganz entfalten. In den führenden Berliner Theatern dominierte nach wie vor der Geist der zwanziger Jahre.
Geändert aber hatte sich der Spielplan. Die meisten neueren Dramatiker deutscher Sprache durften nicht gespielt werden – weil sie Juden oder jüdischer Herkunft waren (so Hofmannsthal, Schnitzler und Sternheim, Ferdinand Bruckner, Walter Hasenclever und Ernst Toller), weil sie Emigranten und Gegner des »Dritten Reichs« waren (das gilt vor allem für Brecht, Horvath und Georg Kaiser) oder weil sie als »entartet« galten (wie etwa Wedekind, Barlach und Marieluise Fleißer). Und da die von den Nazis gebilligten oder geförderten Autoren in der Regel sehr schwache, wenn nicht erbärmlich schlechte Stücke lieferten, blieb solchen Intendanten wie Gründgens und Hilpert nichts anderes übrig,
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