Mein leidenschaftlicher Ritter: Roman (German Edition)
Isobel war nicht naiv; sie wusste, wie das übliche Vorgehen war. Der Herr mochte dem Dienstmädchen ein paar Kleinigkeiten oder Münzen geben, doch er würde ihr nicht erlauben, ihn zurückzuweisen.
Isobel würde das Unvermeidliche nicht länger aufschieben. Sie würde nicht darauf bestehen, dass das Aufgebot dreimal verlesen werden musste.
Wenn de Roche zurückkehrte, würde sie mit ihm ins Bett gehen.
Sie war nicht eitel genug, dass sie glaubte, de Roche für immer ablenken zu können. Über kurz oder lang würde sie das Mädchen aus seinem Haus schaffen müssen. Aber sie konnte sich Zeit kaufen. Wenn Robert zu Besuch kam, könnte er Linnet mitnehmen. Wie lange dauerte es noch, bis Robert sie besuchte? Ein paar Wochen? So lange konnte sie de Roche ablenken.
Isobel konnte sich selbst nicht retten. Aber bei allen Heiligen: Sie würde Linnet retten.
28
April 1418
Rouen wurde nur noch von Paris übertroffen. Von La Chartreuse de Notre Dame de la Rose aus, dem Kartäuserkloster auf einem Hügel östlich der Stadt, konnte Stephen über die Mauern von Rouen sehen und das quirlige Leben in dieser wohlhabenden, siebzigtausend Seelen zählenden Stadt betrachten.
Die Befestigungsmauern der Stadt waren in den vergangenen dreißig Jahren seit dem letzten englischen Versuch sie einzunehmen verstärkt worden. Stephen überschaute die lange Stadtmauer mit ihren sechzig Türmen. Um diese Stadt zu belagern, müsste König Heinrich mit einer Armee anrücken, die groß genug war, die ganze Stadt einzuschließen und die sechs Stadttore zu bewachen. Darüber hinaus würde er verhindern müssen, dass die Stadt von Norden oder Süden über die Seine versorgt wurde, die an der Stadt entlangfloss.
Eine Belagerung Rouens wäre eine langwierige Angelegenheit. Trotzdem würde die Stadt fallen. Doch Stephen hatte keine großen Hoffnungen, dass er die Männer von Rouen von dieser Tatsache überzeugen konnte.
Als Gesandter des Königs hatte er den Auftrag, ihnen eine einzige Frage zu stellen: Würde sich Rouen freiwillig unterwerfen, oder müssten seine Bewohner erst mit dem Hungertod bedroht werden, bevor sie aufgaben?
Stephen fragte sich wieder, warum der König ausgerechnet ihm diesen Auftrag erteilt hatte. Er vermutete, dass sein Bruder etwas damit zu tun hatte. Vielleicht aber auch Robert. Stephen hatte während seines zweitägigen Rittes nach Rouen genügend Zeit, über dieses Rätsel nachzudenken. Doch stattdessen waren seine Gedanken immer bei Isobel – und dabei, was er mit ihr tun würde, wenn er dort ankam.
Es war zwei Wochen her. Zwei Wochen, seit sie nackt unter ihm gelegen hatte. Zwei Wochen, seit sie ihn zurückgewiesen hatte.
Zwei Wochen, seit sie sich einem anderen versprochen hatte.
Zum wohl tausendsten Mal fragte er sich, warum sie es getan hatte. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie das tun, nachdem sie ihm gerade erst versprochen hatte, noch zu warten? Sie hatte es so kurz, nachdem er ihr Bett verlassen hatte, getan, dass sein Geruch noch auf ihrer Haut gelegen haben musste, als sie de Roche die Ehe versprach.
Irgendwie musste der König von Stephens Absichten gegenüber Isobel Wind bekommen haben, glaubte Robert. Der König war nicht der Einzige gewesen. Offenbar hatten Robert, William und Catherine vorgehabt, an ebenjenem Tag mit dem König zu sprechen und ein gutes Wort für Stephen einzulegen. König Heinrich hatte rasch gehandelt, bevor seine Freunde ihn hatten ansprechen können.
Robert bestand darauf, dass der König auch Isobel überrascht hätte. Dennoch war sie es gewesen, die das Eheversprechen ausgesprochen hatte. Stephens einziger Trost war, dass Isobel an jenem Morgen mit ihren verquollenen Augen und blass wie der Tod nicht gerade wie eine glückliche Braut ausgesehen hatte.
Eine Verlobung zwischen einem Mann und einer Frau im heiratsfähigen Alter war so gut wie irreversibel. Doch sicherlich war es ein überzeugender Grund, sie aufzulösen, wenn die Frau von einem anderen Mann schwanger war. Die Zeit war knapp. Ihre Ehe mit de Roche könnte in weniger als einer Woche zustande gekommen sein.
Wenn Isobel schwanger war, wäre es eine einfache Angelegenheit. Stephen würde sie mitnehmen und sich später um die Konsequenzen kümmern. Wenn sie nicht sofort einwilligte, ihn zu heiraten, hätte er sie bis zu ihrer Niederkunft mürbe gemacht.
Was würde er tun, wenn sie noch nicht sicher wusste, ob sie sein Kind unterm Herzen trug? Oder noch schlimmer: Wenn sie sich sicher war, dass sie es nicht tat?
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