Mein Mutiger Engel
John wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. "Nur dass Sies wissen, ich glaube nicht, dass er sich hinlegen will."
"Da er nichts mehr zum Anziehen hat, bleibt ihm gar nichts anderes übrig", sagte Katherine mit Nachdruck. "Zumal ich ihm auch noch den Hals und die Handgelenke verbinden werde." Sobald John mit dem Nachthemd zurückkehrte, drückte sie es mitsamt der Rückenbürste Arthur in die Hand. "Hinein mit dir. Bring ihm bei, dass er ins Bett gehört."
Arthur verzog das Gesicht, klopfte an die Tür und trat ein. Kein Laut drang aus dem Schlafzimmer, bis er nach einer Weile in ziemlich feuchtem Zustand wieder herauskam.
"Was ist denn geschehen?", fragte Katherine.
"Er hat mit dem Schwamm nach mir geworfen, als ich mich weigerte, ihm Kleider zu bringen. Nun, immerhin war es nicht die Bürste."
"Liegt er jetzt im Bett?"
"Ja."
Auf eine heftige Auseinandersetzung gefasst, begab sich Katherine mit ihrem Verbandszeug ins Zimmer. Um den Badezuber herum lagen nasse Handtücher verstreut, und Nick saß aufrecht im Bett, blass, aber entschieden widerspenstig.
"Bitte lass mich doch von John etwas zum Anziehen borgen", rief er heiser.
Katherine stellte ihr Tablett auf dem Nachttisch ab. "Heute auf keinen Fall", entgegnete sie. "Du brauchst Schlaf und viel Ruhe. Morgen werden wir weitersehen; falls es dir besser geht, darfst du aufstehen. Und nun beuge dich bitte etwas vor, damit ich deinen Kragen umschlagen kann …" Der Anblick des blauroten Blutergusses verschlug ihr schier die Sprache. "Schmerzt dein Hals sehr stark?"
Er nickte und zuckte prompt zusammen.
"Dann vermeide jedes Wort. Dies wird jetzt vielleicht ein wenig brennen." Als sie die Salbe sachte auf seiner wunden Haut verstrich, zog er scharf den Atem ein. Katherine ließ sich nicht davon beirren, sondern legte ihm einen Verband an, damit die Salbe einwirken konnte. "So, nun zu deinen Handgelenken."
Gehorsam streckte er sie aus, doch sobald Katherine ihn berührte, griff er nach ihren Händen. "Erzähl mir, was geschehen ist."
"Erst, wenn du dich ausgeruht hast. Bitte lass mich los, Nick."
Zögernd gab er sie frei. "Diese Schürfwunden sehen schon viel besser aus als noch vor ein paar Tagen", meinte sie, während sie sich seine Handgelenke besah. Bald waren auch diese verbunden, und Nick fasste sie erneut bei der Hand. "Sag es mir jetzt, Katherine. Wie kommt es, dass ich nicht hingerichtet wurde?"
Katherine sah ein, dass seine Willenskraft die ihre weit übertraf. Wenn sie ihm jetzt nicht antwortete, war er imstande, aufzustehen und Jenny oder John zu fragen.
"Also schön, falls du mir versprichst, bis morgen im Bett zu bleiben. Ich bin nach Hemel Hempstead gefahren und habe den Friedensrichter gesucht, der dich verhaften ließ – Mr. Highson. Sobald ich ihn von seinem Irrtum überzeugen konnte, war er fest entschlossen, sich für deine Freilassung einzusetzen. Auf der Rückreise löste sich ein Rad an unserer Kutsche. Mr. Highson stürzte so unglücklich, dass er bewusstlos wurde und sich die Schulter ausrenkte, und Jenny erlitt einen schweren Schock."
"Und du?" Nick berührte die Prellung an ihrer Stirn. "Das muss sicher schmerzen. Keine weiteren Verletzungen?"
"Nein, nur ein paar blaue Flecken", murmelte Katherine verlegen. "So kam es jedenfalls zu unserer Verspätung. Mr. Highsons Kutsche war beschädigt, und die arme Jenny wusste weder ein noch aus, während wir beide bewusstlos … ich meine …" Verflixt! Er sollte eigentlich nicht erfahren, dass auch sie ohnmächtig geworden war.
"Ich verstehe." Seine Heiserkeit hatte sich verschlimmert. "Könntest du mir vielleicht die ganze Geschichte erzählen, ohne die Teile auszulassen, von denen du glaubst, dass sie mich beunruhigen würden?"
Katherine errötete. "John kam uns schließlich zu Hilfe. Da Mr. Highsons Kutsche sich nicht schnell genug reparieren ließ, brachen wir heute um fünf Uhr früh in meinem Wagen auf, mit dem wir natürlich wesentlich langsamer vorankamen. Auf den Londoner Straßen herrschte ein entsetzliches Gedränge, und am Ende musste John uns absetzen. Die letzte Strecke bis Newgate legten wir zu Fuß zurück." Sie spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich, und machte eine Pause, um sich zu sammeln.
"Schon von draußen hörten wir die Menge johlen. Immer wieder schwoll der Lärm an, was uns anzeigte, dass eine weitere arme Seele hingerichtet worden war. Wir befürchteten schon, zu spät zu kommen." Ihre Stimme bebte. "Es dauerte eine halbe Ewigkeit,
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