Mein mutiges Herz
anderes denken als daran, Lindsey zu heiraten. Jetzt, da er ein reicher Mann war, könnte er für sie sorgen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen.
Er studierte die verschlungenen Ornamente im Orientteppich zu seinen Füßen.„Das heißt also, ich habe genügend Vermögen, um sie gut zu versorgen, aber leider ist das nicht ausreichend. Ich bin kein Gentleman und nicht gut genug für Lindsey.“
„Du könntest lernen, ein Gentleman zu werden“, warf Leif geduldig ein.
„Es ist gar nicht so schwer“, fügte Krista hinzu. „Und wenn du sie wirklich liebst, lohnt sich der Einsatz.“
Thor sah die beiden eindringlich an, und ein Hoffnungsstrahl erwärmte sein Herz. „Denkt ihr wirklich, ich könnte es schaffen?“
„Mein Vater hat dir die Grundbegriffe beigebracht“, rief Krista ihm ins Gedächtnis. „Du weißt fast alles, was nötig ist, und den Rest könnte ich dir beibringen.“
Sir Paxton Hart hatte ihn in vielen Dingen unterrichtet, damit er sich in dem Land wohlfühlen konnte, das ihm zur zweiten Heimat geworden war. Als Gegenleistung für seine Hilfe hatte der Professor Leif gebeten, ihn nach Draugr Island zu bringen, wo er sich immer noch aufhielt, um Land und Leute zu studieren, vorwiegend ihre Art, ein Leben wie die alten Wikinger zu führen. Sir Paxton wollte ein Jahr auf der Insel verbringen, bevor Leif ihn abholen und nach London zurückbringen würde.
Thor schmunzelte innerlich bei der Vorstellung, wie der Professor versuchte, seiner Schwester Runa das Benehmen einer Dame beizubringen.
Er wandte sich an Krista. „Wie lange könnte es wohl dauern, um aus mir einen Gentleman zu machen?“
Krista warf Leif einen Blick zu. „Wir müssen uns beeilen. Lindseys Mutter setzt sie immer mehr unter Druck. Wenn es dir wirklich ernst damit ist, sollten wir gleich morgen mit dem Unterricht beginnen.“
Thor wandte das Gesicht ab. „Selbst wenn ich das lerne, was nötig ist, gibt es noch ein anderes Problem.“
„Und das wäre …?“, fragte Leif.
„Lindsey wird mich nicht heiraten.“
„Damit, lieber Freund, hast du vollkommen recht.“ Kristas Antwort verblüffte ihn. „Und das bedeutet wiederum, dass du ihr Vertrauen und ihre Liebe erneut gewinnen musst.“
Thor schwieg. Sein Herz hämmerte, Hoffnung weitete ihm die Brust. Das Lernen war ihm nie schwergefallen. Er sprach ebenso gut englisch wie sein Bruder, der einige Zeit vor ihm nach England gekommen war. Er war wissensdurstig und begeisterungsfähig – wenn ihn etwas wirklich interessierte. Es konnte nicht allzu schwierig sein, sich modisch zu kleiden, sich ein paar alberne Höflichkeitsfloskeln und gesellschaftlichen Schliff anzueignen – und tanzen zu lernen.
Aber würde er Lindsey davon überzeugen können, ihm zu vergeben und seinen Heiratsantrag anzunehmen? Auf diese Fragen wusste er keine Antwort.
„Wenn es dir recht ist, komme ich morgen früh vorbei. Mein erster Weg führt mich allerdings zur Bank. Ich verkaufe die Hälfte meines Aktienpakets und verwahre das Geld und die restlichen Aktien in einem Bankschließfach.“
Leif schmunzelte. „Gute Idee. Du fängst bereits an zu lernen, Bruder.“
„Außerdem will ich einen Grundstücksmakler damit beauftragen, Ausschau nach einem Anwesen auf dem Land zu halten. Saber hat lange genug im Stall gestanden. Er braucht seine Freiheit in der Natur – genau wie ich.“
„Und Lindsey?“, fragte Krista.
Thors Brust verengte sich. „Sie ist die große Liebe meines Lebens. Wenn sie mich nicht abweist – werden wir heiraten.“
Krista lächelte strahlend. „Bis morgen, also.“
Thor nickte. Wäre er nicht so eigensinnig gewesen, hätte er die nötigen Umgangsformen längst gelernt.
Er könnte vielleicht sogar schon mit Lindsey verheiratet sein.
Statt gezwungen zu sein, einen Weg zurück in ihr Herz zu finden.
25. KAPITEL
Pechschwarzes Dunkel sickerte in die engen Gassen und kroch in versteckte Winkel. Der schwache Schein einer entfernten Gaslaterne vermochte die unheimliche Finsternis nicht zu durchdringen. Vor ihm eilte eine Frau die menschenleere Straße entlang, ihr seidengefütterter Umhang umwallte ihre schlanke Gestalt. Immer wieder warf sie ängstliche Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand folgte.
Der Mann lächelte in sich hinein. Sein Ruf eilte ihm voraus. Die Frau war argwöhnisch wie eine Katze, aber alle Vorsicht half ihr nichts. Er war ein erfahrener Jäger, der sich mit unnachahmlichem Geschick an seine Beute
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