Mein mutiges Herz
sonniger Tag, und ein kleiner Spaziergang würde auch ihr guttun. „Ja gerne.“ Gemeinsam schlugen sie den Kiesweg zu den Ställen und Koppeln ein.
„Sie finden Seine Lordschaft an der hinteren Koppel“, erklärte ein Stallbursche und zeigte ihnen den Weg.
„Dort drüben.“ Lindsey wies mit dem Arm zu einem hochgewachsenen blonden Mann, in dem sie Lord Merrick erkannte, gut aussehend und elegant, mit tadellosen Umgangsformen, die ihn für seine jungen Jahre eher gesetzt wirken ließen. Neben ihm stand ein Mann von etwa gleicher Körpergröße, breiter in Brust und Schultern, mit gespreizten Beinen und finsterem rotem Gesicht.
Es war der Dritte, der in der Koppel mit einem herrlichen Rappen zugange war, der Lindsey jäh innehalten ließ.
„Du meine Güte“, sagte Tante Dee, deren Blick den Mann im selben Augenblick erfasste. „Ist das nicht dein Freund, dieser Thor?“
Eigentlich sollte Lindsey nicht überrascht sein, ihn hier zu sehen. „Ja, das ist er“, antwortete sie.
„Was, in aller Welt, hat er hier zu suchen?“
Es blieb ihr keine andere Wahl, als die Wahrheit zu gestehen, was sie vielleicht schon früher hätte tun müssen. Lindsey vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass niemand in Hörweite war. „Er ist wegen anonymer Briefe hier, die ich letzte Woche erhielt“, flüsterte sie Tante Dee zu. „In der ersten Nachricht wurde einer von Rudys Freunden beschuldigt, der Mörder zu sein. Im zweiten Brief wurde Stephen Camden namentlich genannt.“
„Aber das ist ja völlig absurd. Du misst solchem Unsinn hoffentlich keine Bedeutung bei.“
„Nein, natürlich nicht, deshalb habe ich sie auch dir und Rudy gegenüber nicht erwähnt. Aber Thor ist geradezu lächerlich fürsorglich und befürchtet, ich gebe nicht eher Ruhe, bis ich nicht absolut davon überzeugt bin, dass Stephen nichts mit der Sache zu tun hat. Er denkt, meine Fragen könnten mich in Gefahr bringen. Das ist vermutlich der Grund, warum er hier ist.“
Die Damen beobachteten Mann und Pferd in der Koppel. „Was für ein herrlicher Anblick“, stellte Tante Dee schwärmerisch fest. „Noch nie zuvor habe ich zwei prachtvollere Exemplare der Gattung Mann und Pferd gesehen.“
Auch Lindsey war fasziniert vom Anblick des hünenhaften Mannes und des kraftvollen Pferdes, die einander in der Koppel fixierten. Es schien, als nehme keiner von beiden etwas von seiner Umgebung wahr – ein Mann und ein Pferd, die einander maßen in einer Art innerem Willenskampf.
Der Hengst war von imposanter Statur, schwarz wie die Nacht, kraftvoll sehnig und muskulös, mit majestätischer Haltung. Thor trug Breeches, die seine langen muskulösen Schenkel umspannten, seine breiten Schultern und sein muskelbepackter Rücken schienen die Nähte seines weißen Hemdes zu sprengen. Der schönste und begehrenswerteste Mann, dem Lindsey je begegnet war.
„Wenn dieser Mann sich deinetwegen in Merrick Park aufhält“, stellte Tante Dee nüchtern fest, „bist du in großen Schwierigkeiten, mein Kind.“
Lindsey befeuchtete ihre Lippen, die sich plötzlich staubtrocken anfühlten. „Wir sind lediglich Freunde. Das sagte ich dir bereits.“
„Höchst verwunderlich“, entgegnete ihre Tante.
Lindsey widersprach nicht. Erinnerungen stiegen in ihr hoch an ihre letzte Liebesnacht, wie er sie ausgefüllt, sein kraftvoller Körper sich über ihr bewegt hatte. Ihre Lippen prickelten in Erinnerung an seine wilden Küsse, und sie sehnte sich mit jeder Faser nach ihm.
Sie schluckte. „Selbst wenn … falls du recht hättest, könnte nie mehr daraus werden. Das weißt du genau, Tante Dee.“
Delilah bedachte sie mit einem tadelnden Blick unter hochgezogenen Brauen. „Ich hoffe, du vergisst das nicht.“
Lindsey hüllte sich in Schweigen und hoffte inständig, dass sie die Kraft aufbringen würde, ihn zu verlassen, wenn der Zeitpunkt gekommen wäre, aber mit jedem Wiedersehen bereitete ihr dieser Gedanke quälendere Wehmut. Sie setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf und näherte sich Stephen und dem rotgesichtigen Mann, deren Blicke gespannt die Szene in der Koppel verfolgten.
„Hoffentlich war dein Freund klug genug, eure Bekanntschaft nicht zu erwähnen“, raunte Tante Dee ihr zu.
„Dessen bin ich mir ganz sicher.“ Was immer man ihm auch nachsagen mochte, ein Narr war Thor keineswegs. Er war gekommen, um ihr zu helfen, die Wahrheit über den Viscount zu ergründen, und würde alles tun, um sie zu unterstützen.
„Meine liebe Lady
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