Mein Name ist Afra (German Edition)
schon mehr vom Leben gesehen haben als du! Auf dem reichen Gut am Haselbach wirst du die Herrin sein, du, die du noch unfrei und bitterarm geboren wurdest! Die Haslacher stehen besser da als der Burgvogt Wicpert, und mindestens genauso gut wie die reiche Familie auf der Dornau. Es ist eine glänzende Heirat für dich und eine gut überlegte Verbindung zwischen dem Welfenstamm aus Altdorf und den freien, mächtigen Bauern des Ambragaus! Wisch´ deine Tränen ab und geh´ zu Bett, denn morgen wirst du anders darüber denken und mir recht geben!“
Nach den letzten Worten von Wezilo hatte sich die Stimmung in der rauchigen Stube verändert, und keiner schien rechte Lust auf eine weitere Unterhaltung zu haben. Walburc ging mit leisen Schritten herum und löschte die flackernden Kienspäne, so daß nur noch das glimmende Herdfeuer etwas trübe Helligkeit gab, während Wezilo seinen Gast Hildeger zu ihrem gemeinsamen Strohlager führte, neben dem sich bereits der struppige Hund lang ausgestreckt hatte. Justina räumte mit langsamen und müden Bewegungen die Becher vom Tisch und legte sich dann unter die rauhe wollene Decke zu den beiden Mädchen, und Walburc schlüpfte neben ihren schnarchenden Mann auf das breite Lager hinter der Feuerstelle. Draußen im nachtdunklen Dorf war es ruhig und die meisten Menschen schienen zu schlafen, und nur gelegentlich knarrte eine sperrige Holztür oder ein unruhiger Hund schlug für einen kurzen Moment an. In der warmen Meierstube war es still geworden, und das Rascheln von Stroh und die schnaubenden Laute der Tiere im Stall nebenan waren allen vertraut und hinderten nicht am Einschlafen. Doch die jungen Frauen warteten sehr lange schweigend und angespannt ab, bis sie das dumpfe, regelmäßige Schnarchen von Bruno und den schweren Atem des alten Meiers hörten und ganz sicher waren, ungestört miteinander reden zu können.
„Ich kann Chuonrad nicht leiden! Er ist genauso wie sein Vater Sigiboto, hart und grausam gegen Frauen, er verlangt Arbeit und Gehorsam bei Tag und bei Nacht, denkt doch nur an seine Mutter Hedwig, die niemals eine Silbe über die Lippen bringt, wenn ihr Mann zugegen ist. Ich werde diesen Kerl nicht heiraten und die wenige Freiheit, die ich erst seit ein paar Jahren besitze, gegen so eine Ehe wieder hergeben!“ Richlint flüsterte, aber ihr Ton war scharf und durchdringend.
„Pst, sei leise!“ mahnte Afra, „du weckst sonst die Männer wieder auf! Denk´ doch daran, Richlint, daß keine von uns beiden weit fort ziehen muß und wir uns und Justina jederzeit sehen können! Heiraten mußt du, und mit Chuonrad ist es vielleicht nicht so schlimm, als in einem fremden Ort mit fremden Menschen zu leben. Und wir gehören dann zu einer Familie, du und ich, wir sind dann richtige Schwestern!“
„Du hast leicht reden, Afra, denn Leonhard ist ein guter Mann, und du wirst hier im Dorf leben mit Walburc und deinem Vater und nicht draußen am düsteren Schnaitberg mit diesen strengen Leuten! Ich habe doch auch zwei Brüder, warum kann ich nicht nach Altdorf zu Eticho oder nach Andehsa zu Rasso und Kunissa ziehen?“ Richlint setzte sich auf und spielte nachdenklich mit ihren langen Zöpfen. „Auch um Rasso mache ich mir Sorgen!“ murmelte sie, „ihr wißt doch, wie ehrenhaft und gläubig er ist! Er wird keinem Kampf aus dem Weg gehen, auf der gefährlichen Reise mit dem Bischof, und er wird versuchen, die Heiden zu bekehren und damit Ruhm und Reichtum zu erlangen!“
Justina hockte mit gekreuzten Beinen auf der Decke, und im schwachen Schein des restlichen Herdfeuers wirkte ihr dunkles, klar gezeichnetes Gesicht mit den tiefschwarzen Augen und der Fülle des lockigen Haares sehr geheimnisvoll. „Die meisten von ihnen werden gesund zurückkehren, du brauchst dich nicht ängstigen, Richlint! Und die anderen Gefahren, von denen der törichte Bruno so gerne noch mehr erzählt hätte, die betreffen deinen Bruder Rasso nicht, denn seine Augen ruhen nicht wohlgefällig auf dem Körper von Frauen und sein Sinn steht nicht nach Genuß, er ist zu etwas ganz anderem berufen!“ Justina sprach so sicher und bestimmt, daß Richlint ruhig wurde und sich wieder lang neben Afra ausstreckte. „Und was deine Heirat mit Chuonrad betrifft, so ist das dein Schicksal, du wirst dich nicht davon befreien können! Von uns Frauen verlangt die Göttin oft mehr als von den Männern, aber wir haben auch die Kraft von ihr erhalten, es zu ertragen. Ich werde dir helfen, soweit ich es vermag,
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