Mein Name ist Afra (German Edition)
das verspreche ich dir, und ich spüre ganz deutlich, daß dir in diesem Leben noch eine große Freude bevorsteht, Richlint! Sei geduldig und ertrage dein Los bis dahin!“
Richlint wurde es warm ums Herz bei den Worten ihrer weisen Freundin, und neugierig fragte sie nach. „Was für eine Freude meinst du denn, Justina? In meinem Inneren weiß ich genau, daß ich gehorchen muß und mir nichts anderes übrig bleiben wird, als Chuonrad zu heiraten, wenn es der Graf befiehlt. Aber ich werde nicht glücklich sein auf dem Haslachhof!“
Justina strich sich die Haare aus dem Gesicht und legte dann ihre kräftigen Hände sanft und beschützend um ihren runden Bauch. „Glück! Das ist nicht etwas für ein ganzes Leben, ihr Mädchen, das ist nur ein kurzer Augenblick voll reiner Freude. Öffnet eure Augen und eure Sinne, dann werdet ihr an manchem Tag etwas von dieser Freude erfahren! Glück ist, wenn sich das Kind in mir zum ersten Mal bewegt und ich sein Leben spüre, wenn ich in einer klaren Nacht mit meinem Geliebten in den Sternenhimmel schaue, wenn mir der Untergang der Sonne weit hinter dem Aurberg so bunte Farben zeigt, wie ich sie in meinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten habe! Glück ist, von guten Freunden getröstet zu werden, wenn ich traurig bin, oder ein verletztes Tier zu heilen und eine Pflanze blühen zu sehen, die ich selbst gezogen habe.“
Die schwarzhaarige Frau legte sich dicht neben die beiden Mädchen und umarmte sie. „Ich versuche doch immer wieder, euch mit dem Leben zu versöhnen! Vor allem dich, Richlint, denn du hast schon soviel Kummer erfahren und sollst endlich einmal zufrieden sein! Nehmt jeden Tag hin, wie er euch von der Göttin oder dem Christengott geschenkt wird, und versucht, das Schöne und Gute daran zu entdecken! Der Besuch des Bischofs in den nächsten Tagen wird ein Fest werden, das sollt ihr genießen, und euch nicht allzuviel Gedanken über die kommenden Jahre machen.“
Afra hatte bis dahin geschwiegen und ihren Freundinnen aufmerksam zugehört, aber jetzt fragte sie Justina ganz leise nach der Hochzeit von Arbeo und Liutbirc. „Macht es dir denn nichts aus, daß Arbeo eine andere heiraten und mit Udalrich nach Rom ziehen wird? Das muß dir sehr weh tun, Justina, wo du doch sein Kind in deinem Bauch trägst!“
„Dieses Kind ist nur mein Kind, und nicht das von Arbeo! Er kann niemals mit mir leben, auch wenn er hier bleibt und nicht auf Pilgerreise geht, das habe ich immer gewußt. Es schmerzt mich sehr, ihn mit Liutbirc zusammen zu sehen, zu wissen, daß er schon morgen das Bett mit ihr teilt, aber auch dieser Schmerz wird vorübergehen und ich werde wieder mit euch lachen!“ In ihre Gedanken versunken schwieg Justina für einen Augenblick, und dann fuhr sie mit fester Stimme fort. „Morgen früh verlasse ich Pitengouua und kehre zu meinem verfallenen Hause zurück, um es mir und auch Arbeo leichter zu machen, ich werde den Besuch des Bischofs nicht abwarten! Aber ihr beide wißt, daß ich immer für euch da sein werde, und wenn ihr meine Hilfe benötigt, so könnt ihr mich draußen besuchen oder nach mir schicken. Aber wir wollen jetzt schlafen, es ist schon tiefe Nacht, und wir brauchen unsere Kräfte für die nächste Zeit! Es ist schön, so eng und warm bei euch beiden zu liegen, und ich bin mir sicher, daß wir heute Nacht die süßesten Träume haben werden!“
Müde nach einem langen Tag und getröstet von Justina´s Worten schliefen die beiden Mädchen bald ein, und ihre gleichmäßigen Atemzüge vermischten sich in der kleinen Stube mit dem unaufhörlichen lauten Schnarchen von Bruno und dem rasselnden Atem des alten Wezilo. Nur noch zwei Menschen lagen ohne voneinander zu wissen mit offenen Augen wach und nachdenklich in der Dunkelheit und horchten auf die unterschiedlichen Laute der Nacht. Justina konnte in der ungewohnten Umgebung nicht einschlafen, die körperliche Nähe und die Geräusche von anderen war sie nicht gewohnt, und ihre Gedanken um das Schicksal von Richlint und den Verrat von Arbeo ließen ihr keine Ruhe, sondern wirbelten wild und bunt und erschreckend in ihrem Kopf herum.
An der Tür zum Viehstall lag der Händler Hildeger und fand kaum genügend Platz für seinen beleibten Körper auf dem schmalen Lager neben dem alten Meier, und harte Strohhalme bohrten sich durch das grobe, einfach gewebte Leintuch und kratzten und bissen ihn ohne Unterlaß. Er hatte das Gespräch der jungen Frauen mitgehört und sich dabei
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