Mein Name ist Eugen
wenig im Kopf, dass er in der Konfirmation zweimal durchgefallen sei. Das aber war die bare Verleumdung, weiss doch jedes Kind, wie hell auf der Platte unser Kübler ist, und ich entgegnete, niemand fahre so sehr mit seinem Kopf, wie unser Ferdinand. Der Eduard überbrüllte mich mit der Behauptung, ohne zu bremsen sei noch nie ein Sterblicher die Gotthardnordseite hinuntergefahren, am wenigsten der Ferdi Kübler.
Da fühlte sich der Wrigley persönlich beleidigt: Ob das möglich sei, wolle er ihm nun gleich beweisen, und fort war er, Kopf zwischen dem Lenker, in grossem Stil, wie er das nannte.
Zehn Minuten später fanden wir ihn dort, wo der Tessin endgültig aufgehört hat und der Uristier an den Felsen gemalt ist im Strassengraben: Mit dem Taschentuch hatte er sich einen Kopfverband gemacht. Er stöhnte ein wenig, sagte aber stolz: das sei nun einmal Rennfahrerschicksal, und bis zu einer Karambolasche habe sich ja keiner von uns an sein Hinterrad heften können. Das Feld habe er glatt stehen lassen, denn keiner von uns habe den Mumm aufgebracht, wie er, und als es sich erwies, dass beim Sturz die Krone seiner Uhr abgebrochen war, da nannte er das Ganze ein Rennen gegen die Uhr, und überhaupt, bis Flüelen spielten wir die Tour de Suisse. Der Wrigley fuhr zwar nicht eben schnell, aber seine Fachausdrücke waren tadellos:
In einem fort musste er einen anderen Gang auflegen, noch einen oder zwei Zähne mehr, wie er das nannte, und dabei hatte er an seinem Velo Rücktritt. Immer murmelte er von Führungsarbeit oder «preschte» am Bäschteli vorbei, der jetzt Louison Bobet hiess; oder er lobte seinen heftigen Antritt oder seine Härte am Berg, und hinter Flüelen waren wir anderen längst zu seinen sogeannten Domesticken herabgesunken und mussten ihm Wasser tragen und Schläuche wechseln, ihn wieder in die Kopfgruppe führen oder einen Spurt anreissen, und wir bangten erschöpft um die weitere Zukunft, als wir in Brunnen die zwei Wegweiser sichteten. Auf dem einen stand:
Zürich.
Bei diesem einen Wort fiel dem Wrigley der Fritzeli Bühler ein. Das war eine sagenhafte Gestalt aus längst vergangenen Zeiten. Aber noch heute lebte sein Name unter uns, und jedermann wusste, dass er der Freund des Hofmann gewesen war, jenes Hofmann, der im Familienbad jedes beliebige Paar Schuhe für zwanzig Rappen ins Wasser warf. Der Bühler war jener Knabe gewesen, von dem der Plänes in jüngeren Tagen gesagt hatte: «Bühler, du bist zwar vieles, bloss eines bist du nicht: Nachahmenswert.» Der Fritzeli Bühler war derjenige, welcher in der Schule kein einziges Mal sitzen blieb, bloss aus dem Grunde, weil der Klassenlehrer der unteren Klasse sagte, wenn der Bühler zu ihm herunterfliege, lasse er sich pensionieren.
Du siehst schon nur aus diesen einführenden Worten, lieber Leser: Ein Ideal von einem Menschen, und der Wrigley nannte ihn den Beethoven der Lausbuben, und er war unser unerreichtes Vorbild. Hunderte von Fritzelis Abenteuern zirkulieren in Bern noch heute über ihn, trotzdem er schon lange nach Zürich ausgewandert ist.
Drum brachte jener Wegweiser den Wrigley auf den naheliegenden Gedanken des Abstechers. Als wir zögerten, sagte er uns, eine Fahrt nach Zürich grenze an eine Wallfahrt, denn Fritzeli sei der berühmteste Knabe der westlichen Halbkugel gewesen: Der Schrecken der Lehrer, der Feind aller Bösen und aller Milchkinder. Er sei zu gross gewesen für sein Vaterland, und wie den Gotthelf habe man ihn in die Fremde verbannt, drum sei er jetzt in Zürich.
Dort könne man ihn unschwer besichtigen. Der Fässler Ren£ sei dort gewesen und habe ihm mitgeteilt, der Fritzeli besitze für eventuelle Gäste zehn Luftmatratzen, und überhaupt, wenn wir nicht mitwollten, so gehe er, Wrigley, allein, erlebe mit dem Fritzeli die herrlichsten Abenteuer und niesse ohne uns nutz.
So fuhren wir denn rechts statt links, denn abgesehen vom Fritzeli Bühler dünkte es uns nützlich, unsere Eltern noch ein wenig weicher werden zu lassen.
Wir waren nun in der sogenannten Innerschweiz, und der Wrigley, welcher sehr viele Bücher kennt, erzählte uns viel von diesen Urkantonen, von Uri und der Uhrenindustrie, vom Stauffacher, Dufour und Melchtal, und dann sahen wir noch von weitem den Schillerstein, den dieser Dichter zu Ehren des Wilhelm Teil gestiftet hatte.
Es wurde immer feierlicher, und auf einmal war der Eduard melancholisch, und wir wussten alle: Jetzt denkt er an die Schlacht am Morgarten. Vor Monaten nämlich hatte
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