Mein Name ist Eugen
oder die drei Indianer, oder die Brücke am Tai, das alles habe nie und nirgends existiert. Ja, das sei wieder einmal typisch. Wenn wir Knaben die Wahrheit auch nur ein wenig abändern, dann nennen uns die Erwachsenen Taugenichtse und Bösewichte. Tue aber der Mozart oder der Goethe in viel grösserem Masstab dasselbe und lege Hunderttausende herein, so seien das Dichter, denen man ein Denkmal setzt. Hier zum Beispiel nähme es ihn durchaus nicht wunder, wenn sich überhaupt noch nie eine Bräme an diesen gottvergessenen Ort verirrt hätte.
Wir krochen weiter bergan und dachten an die deutsche Dichtung, bis uns der Wrigley mit einem Freudenschrei aus unseren Gedanken riss:
Er hatte sie gesichtet.
Zuerst nur von weitem, und sie waren noch sehr klein. Aber der Wrigley erkannte sie selbst aus dieser Distanz als Steinböcke, und zwar Orischinal-Steinböcke, wie er das nannte, und das mahnte mich ganz an jenes Gespräch zuhause in Bern auf dem Estrich. Dort spielten wir einst zwischen Kisten und Kasten das schöne Spiel «Die Schiffbrüchigen auf Tahiti», das der Wrigley erfunden hatte, und da stiessen wir zufällig auf den sogenannten Familienschatz vom Grossvater her: Es war das ausgestopfte Jammerexemplar einer gewöhnlichen Hauskatze, aber der Wrigley verkündigte uns in geheimnisvollem Ton, das sei ein Riesenleopard, den sein Grossvater in der Nähe von Schanghai erschossen habe.
Ein Riesenleopard? — Das sei doch ein Zwergkaterchen!
«So wartet doch, bis ich fertig erzählt habe, ihr Anfänger! Als mein Grossvater dieses Raubtier erlegte, war es drum sehr weit entfernt!» Wie faul diese Geschichte war, erkannte ich eine Woche später, als sie mir von anderer Seite nicht als Tatsache, sondern als Witz erzählt wurde.
Kurz und gut, auch diese Steinböcke waren noch sehr klein, aber wirklich sehr weit entfernt. Der Wrigley duckte sich mit uns hinter einen Stein und hielt uns ein neues Referat:
Uns stehe ein unvergessliches Abenteuer bevor, denn Steinböcke seien heutzutage selten und als Kleideraufhänger im Vestibüle sehr gut zu gebrauchen. Wenn wir auch nur einen hinten auf dem Velo aufgebunden heimbrächten, wäre sämtlicher Groll der vereinten Elternhäuser vergessen und abgetan.
Der Bäschteli bekam es mit der Angst zu tun, als der Wrigley von den riesigen Hörnern zu schwärmen begann, aber er beruhigte ihn: Steinböcke seien so dumm, dass man ihnen das Fell über die Ohren ziehen könne, ohne dass sie etwas merkten. Man brauche sich bloss in die Nähe zu pirschen und müsse das Sprechen unterlassen, zum mindesten die Landessprache. Jägerlatein mache nichts, denn das verstehen die Steinböcke nicht. Von jetzt an hätten wir vorsichtigerweise nur in Jägerlatein zu reden.
Warum Jägerlatein?
«Ach, ihr Amateure! Was meint ihr, wie sich ein Steinbock verhielte, wenn ein Jäger hinter dem Felsen auf Berndeutsch riefe:
«Ziel Steinbock, Distanz dreihundert Meter nordost, zum Schuss fertig.»
Noch ehe ein solcher Ruf zum Mund heraus wäre, hätte das Wild sich über alle Berge gemacht. Darum greifen die Jäger zum Jägerlatein, und damit können die Tiere nichts anfangen und seien lackiert.
Diese schöne Ansprache war noch nicht zu Ende, da lugte der Eduard hinter dem Felsblock hervor nach den
Steinböcken aus, zog den Kopf aber bleich wieder zurück und flüsterte:
«Sie kommen!»
Da war auch dem Wrigley sein Latein zu Ende, und weil Steinböcke, welche kommen, nicht mehr so harmlos sind, wie Steinböcke, welche gehen, duckten wir uns hinter dem Felsen eng zusammen und verhielten uns still, denn der Wrigley hatte uns zitternd zugeraunt, in Rudeln seien sie sehr gefährlich.
Eine Minute verging.
Eine zweite.
Und dann zogen links und rechts an unserem Stein ein Rudel Ziegen vorüber, unsere ehemaligen Steinböcke, und wir standen in einer Art und Weise auf, als hätten wir vorhin nur vor dem Luftzug Schutz gesucht. Und wieder einmal war eines von Wrigleys Abenteuern in sich zusammengestürzt.
Das war heute nicht das letzte Mal. Das zeigte sich in Kürze.
Als wir nämlich fast zu oberst waren, kamen wir in den ewigen Schnee. Hier wollte der Wrigley etwas ausprobieren:
Nämlich, ob die Sache mit den Bernhardinerhunden vom Hospiz funktioniere. Er sagte, das lohne sich, denn wenn Einer hier oben im Schnee liege, dann kommen diese menschenfreundlichen Hunde mit einem Fässlein am Hals, und das könne man behalten.
Der Wrigley zwang uns, trotz der Kälte alle Viere von uns zu strecken. Das sei ein
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