Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Schädelin
Vom Netzwerk:
eingestürzt und habe den Faber erschlagen, und als er endlich fertig war, da sei er so exakt schnurgerade gewesen, dass man, wenn man an einem Ende hineinblicke, am anderen Ende hinaussehe, und das Loch sei so ringhörig, dass man, sobald man beim anderen Eingang einen Urner stehen sieht, nur leise zu flüstern brauche: «Kuhschweizer», so komme der Urner jähzornig über den Gotthard gerannt und schlage halb Airolo kurz und klein.
    Rufe aber ein Urner auf der andern Seite ganz ganz leise: «Tschinggalamora», so habe man bereits am nächsten Tag in Göschenen das blutigste Handgemenge mit den Bevölkerungsschichten des Tessins. Mit Recht habe der Bundesrat bei der Einweihung gesagt, der Tunnel wirke völkerverbindend. Hätte man den Tunnel früher gegraben, so hätte sich der Hanibal viel Mühe und Elefanten sparen können.
    So referierte der Wrigley weiter bis Airolo, und darum mussten wir beim Tunneleingang stehen bleiben, um das andere Ende zu sehen.
    Als niemand in der Nähe war, stellten wir uns aufs Geleise und blickten angestrengt hinein, aber man sah nur ein dunkles Loch.
    Zuerst meinte der Wrigley, auf der andern Seite sei vielleicht noch Nacht, aber das war ein Fehler. — Dann meinte er, es sei vielleicht ein Zug drin, der die Aussicht verstopfe, doch als wir die Ohren aufs Geleise drückten, blieb es stumm, und im übrigen: Wenn man es hier hörte, wenn in Uri einer «Tschinggalamora» flüsterte, dann hätte man einen Zug von blossem Ohr bemerken müssen.
    Wir standen auf, sahen uns in die Augen, und allmählich wurde es uns klar, dass wir einem der grauenhaftesten Augenblicke der Weltgeschichte in die Arme gelaufen waren:
    Es kam uns die Erkenntnis, dass dort weit drinnen im dunklen Loch ein Bergsturz a la Louis Faber den Tunnel verschüttet hatte. Ausgerechnet wir mussten das entdecken, und wer weiss, vielleicht waren wir vom Schicksal ausersehen, die Bundesbahnen vor dem schlimmsten Unglück des Jahrhunderts zu bewahren, wenn es nicht schon zu spät war.
    Ohne ein Wort zu sagen, hetzten wir wie die Gejagten dem Geleise entlang bis zum Bahnhof von Airolo.
    Der Wrigley hinein ins Stationsvorstandbüro, wo es hiess: «Eingang verboten», und wir anderen hinten nach.
    Atemlos schrien wir alle durcheinander, der Tunnel sei verschüttet, und ohne unnötige Fragen zu stellen begann der Mann mit dem roten Hut, der jetzt auch unter dem Hute rot angelaufen war, mit allen Telegraphen und Telefonen zu klimpern, Hebel umzuschalten, Knöpfe zu drücken, Lämpchen aufleuchten zu lassen, und als draussen die Sirenen heulten, war bald das Büro voller aufgeregter Leute.
    Freilich, als wir dann langsam merkten, dass die Leitung nach Göschenen nicht unterbrochen sei, die Tunnelwächter nichts besonderes bemerkt haben wollten und so weiter, da fanden wir, es sei doch vielleicht gesünder, diese dumpfe Stube zu verlassen und die frische Luft des Sankt Gotthard zu atmen, und unbemerkt in dem lauten Durcheinander machten wir uns still hinaus und begannen den Aufstieg.
    Ja, ja, bald nach Airolo beginnt der Brocken. Bis zu Kilometer Fünf waren die Ticinesi noch bravi soldati, und der Inferno war passato. Aber dann ging uns allmählich die Luft und die Laune aus, und als wir nach drei Stunden ganz oben waren, merkten wir, dass es noch viel höher ging. Noch hundert Schritte weiter bergan, da legte der Bäschteli sein Rad ab und seufzte still: «Näher mein Gott zu dir.» — Das war der Tiefpunkt.
    Beträchtlich kalt war es, und vom Pass her wehte ein scharfer Wind. Der Wrigley behauptete, das sei des Teufels Atem.
    Lange sitzen konnten wir nicht, und darum ermunterten wir den Bäschteli mit leisen Drohungen. Es stieg und stieg, und wir schoben gebeugten Hauptes unsere Räder vor uns her.
    Dann passierte etwas Dummes. In unserer Stadt existiert nämlich ein Lied, das ins Hochdeutsche übersetzt lautet:
    «Und über den Gotthard fliegen die Brämen,
    die kaiben Brämen,
    sie sind schon dänen,
    per far lamor.»
    Wir hatten zwar keinen Atem, um zu singen, aber immer wenn man keinen Atem hat, kommt mir ein Lied unter die Zunge, und ich muss es bis knapp an den Rand des Grabes pfeifen oder brummen oder röcheln. Nach der siebenhundertsten Wiederholung blieb der Wrigley stehen und stellte nach einem langen Rundblick fest, dass trotz des Liedes weit und breit keine Bräme zu sehen war, und er sagte, das sei mit der ganzen deutschen Dichtung so: Alles erstunken und erlogen. Zum Beispiel die Bürgschaft, oder die Füsse im Feuer,

Weitere Kostenlose Bücher