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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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und einige von uns pflückten reife Ähren, um unterwegs ihren Hunger zu stillen. Auf der anderen Seite des Kornfeldes trafen wir auf eine Gruppe Pharisäer, die auf dem Weg zur Synagoge waren. Sie erkannten Jesus, der vorangegangen war und darauf wartete, dass wir anderen kauend aus dem Kornfeld traten. Ihr Anführer stellte Jesus zur Rede: Wir stahlen, wir brächen die Sabbatregel und so weiter und so fort.
    In seiner Erwiderung berief Jesus sich auf Vorgänger; er liebte theologische Debatten, und meistens ging er als Sieger daraus hervor. David, sagte er, habe seine Freunde in den Tempel geführt und ihnen zugeredet, von den zwölf heiligen Broten zu essen.
    »Bist du denn David?«, fragte ein indignierter Pharisäer. »Und ist das hier der Tempel?«
    Jesus lächelte herausfordernd. »Wenn das Verspeisen einiger Körner nur rechtens ist, wenn ich David bin, so bin ich eben David. Und das hier …« Er machte eine ausladende Handbewegung zum blauen Himmel. »Das hier ist ganz gewiss Gottes Tempel.«
    Manchmal ging es in unserem Lager des Nachts lebhaft zu. Nicht wenige schalten uns der Trunksucht und vermuteten sonstige Ausschweifungen. Zuweilen waren diese Anschuldigungen nicht unbegründet, und dann war es eher Maria Magdalena als Jesus, die uns zur Ordnung rief. Wenn wir auf Wanderschaft waren, übernahm sie eine Art Aufseherfunktion, nicht aus puritanischer Rechtschaffenheit, sondern um unseren guten Ruf zu wahren und für ein friedliches Miteinander zu sorgen.
    Wenn mich die Kraft und Schönheit von Jesu Predigten ergriff, war mir die Wahrheit egal. Meine Skepsis war intakt. Sie war Teil meines Denkens, und ich hätte sie nicht missen mögen. Aber ich konnte sie beiseitelegen und genießen, was Jesus zu bieten hatte: seine Warmherzigkeit und Anmut, seine Intelligenz und Eloquenz und vor allem die Hoffnung, die er den Unglücklichen gab. Selbst wenn es eine falsche Hoffnung war, war sie der Verzweiflung vorzuziehen, mit der die Leute oft zu seinen Predigten kamen. »Jesus von Nazareth« war eine Geschichte, die er Tag für Tag weitererzählte, indem er sie lebte. Das konnte ich nicht bestreiten. Mit Glaube hatte das jedoch nichts zu tun.
    Glaube aber war ihm das Wichtigste, und das war das Problem. Er forderte uns, seine Jünger, beständig dazu auf, genau wie seine Zuhörer. Er kam ohne Nahrung aus. Er konnte die Wüste ohne Wasser durchqueren. Er schien die Liebe einer Frau nicht zu brauchen. Er konnte stundenlang mit Blasen an den Füßen weitergehen. Doch ohne Gläubige konnte er nicht leben. Wir mussten glauben, das verlangte er. Wenn wir glaubten, so sagte er, ergebe sich alles Weitere von selbst. Mir gefiel ganz und gar nicht, wie er mit meinem gesunden Menschenverstand spielte, denn es beeinträchtigte meine Freude an der »Geschichte«. Kein wahrer Gott, kein wahrer Gottessohn, so sagte ich mir, würde Glaube auf die Weise einfordern, wie er es tat. Er würde davon auch nicht so abhängig sein wie er. Das Problem schien also zu sein, dass er die »Geschichte« selbst nicht recht glauben konnte, obwohl er sie erzählte und lebte.
    Dann kam die Zeit, in der seine Botschaft düsterer wurde, genau wie er selbst. Ein Auslöser dafür schien die Verhaftung von Johannes dem Täufer zu sein. Ich habe nicht gleich bemerkt, was das bei Jesus bewirkte, doch mit der Zeit wurde es spürbar. Sein Ton und seine Themen veränderten sich so deutlich, dass man es nicht übersehen oder überhören konnte. Es war, als seien die unheilvollen Vorahnungen und Befürchtungen, die für Johannes so typisch waren, auf ihn übergegangen. Ihm ging es aber nicht darum, Johannes zu imitieren, vielmehr verdüsterten die jüngsten Ereignisse seine Sichtweise.
    Ein Kameltreiber berichtete uns von Johannes’ Verhaftung. Herodes Antipas hatte seine Festung Machaerus am Toten Meer besucht und Spione ausgesandt, um Johannes in der nahen Jordanfurt predigen zu hören. Als sie zurückkehrten, berichteten sie Herodes von Johannes’ mangelndem Respekt gegenüber den offiziellen Machthabern und – schlimmer noch – von dessen scharfer Kritik an Herodes’ »unzüchtigem Verhältnis« mit seiner Schwägerin Herodias. Herodes hatte nämlich die Frau seines Halbbruders geheiratet, nachdem sich beide von ihren früheren Ehegatten hatten scheiden lassen.
    Es war ein Skandal, der landauf, landab Empörung auslöste, aber selbstverständlich wurde darüber nur leise getuschelt. Nicht so Johannes. Er schrie seine Empörung laut heraus. Es sei

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