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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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wie provokanten Fragen. Was für ein Mann er eigentlich sei, was für ein König , der denjenigen in der Hand habe, der seine Königin beleidigt hatte, ohne ihn mit dem Tod zu bestrafen?
    Doch dann änderte sie ihre Taktik, mein Vater sagte, das sei typisch für sie und mache sie so faszinierend. Sie kündigte ein großes Fest zum Geburtstag ihres Gatten an, bei dem ihre sechzehnjährige Tochter Salome, die kurz zuvor aus Rom zurückgekehrt war, ihm zu Ehren einen Schleiertanz vorführen solle.
    Es war ein Fest im römischen Stil, und mein Vater war dazu eingeladen. Die Gäste wurden reichlich mit exquisiten Speisen und edlem Wein bewirtet. Köche, Diener und Sklaven hatten alle Hände voll zu tun, und je weiter der Abend fortschritt, wurde ausgiebig von den Speibecken Gebrauch gemacht. Nach Mitternacht war Herodes so betrunken und so von der Schönheit seiner Stieftochter eingenommen, wie Herodias es geplant hatte. Der Fürst drängte sie, ihren Schleiertanz zu wiederholen. Als sie sich weigerte, ihn küsste und ihm die Schenkel streichelte, versprach er, ihr alles zu geben, was sie verlange, wenn sie noch einmal für ihn tanze.
    »Hört mein Versprechen!«, rief er seinen Gästen zu. »Und verdammt mich, wenn ich es nicht halte.«
    Natürlich hatte Herodes nicht damit gerechnet, dass Salome nichts für sich, sondern etwas für ihre Mutter verlangen würde. »Bitte, verehrter Stiefvater«, sagte sie laut und deutlich, »bringt mir das Haupt von Johannes dem Täufer.«
    Der Tanz war bezaubernd und graziös, ließ aber auch viel von Bauchnabel, Gesäß und Brüsten des Mädchens sehen. Der mächtige Herodes war betrunken, ein Herrscher, gewohnt, seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Alle konnten ihm ansehen, dass ihm Salomes Bitte gar nicht recht war, aber er kippte noch einen Becher Wein hinunter und rief seinen Gästen zu: »Soll ich ihr geben, was sie verlangt?«
    »Ja«, riefen alle. »Gib ihr, was sie verlangt.«
    »Das Haupt des Propheten?«, fragte Herodes.
    »Das Haupt des Propheten«, skandierten die Gäste und schlugen rhythmisch mit den Händen auf die Tische.
    Mein Vater war nicht mehr nüchtern, aber noch nicht zu betrunken, um nicht von Scham und Entsetzen ergriffen zu werden. Herodes demonstrierte seine Macht und Unbarmherzigkeit, um all jenen das Gegenteil zu beweisen, die ihn für schwach und rückgratlos hielten. Das Mädchen verlangte das Haupt des Propheten? Nun denn, er war der Provinzfürst, also würde er ihn ihr geben.
    Er schickte einen Diener mit entsprechender Order zum Scharfrichter. Sein Name war Mannais, er war schon unter Herodes dem Großen Henker gewesen. Jetzt war er ein alter Mann, aber noch stark und gesund, und er beherrschte sein Handwerk. Zu seiner Zeit hatte er etliche Verwandte des älteren Herodes, die als aufsässig galten, ins Jenseits befördert, darunter sogar einen Sohn des Fürsten, Antipas’ Halbbruder. Manche hatte er erwürgt, andere ertränkt, wieder andere bei lebendigem Leibe verbrannt, die meisten aber geköpft.
    Beklommen verstummte die Gästeschar. Das alles konnte doch nicht wahr sein! Sogar Herodias schien eher erschrocken als erfreut zu sein. Herodes selbst war blass und still geworden, kippte den nächsten Becher Wein hinunter, kniff die Augen zusammen, öffnete sie dann wieder und machte eine leichte Kopfbewegung. Die Musiker begannen wieder zu spielen. Aber niemand sang oder tanzte, da setzten auch die Musiker ihre Instrumente wieder ab.
    Als der Scharfrichter eintraf, herrschte Totenstille im gesamten Festsaal, dessen Kandelaber angeblich mehr als zehntausend Kerzen fassten. Alle fürchteten, was kommen würde. Viele glaubten, es handle sich um einen zu dick aufgetragenen Scherz.
    Auf dem Weg zum Festsaal hatte sich der Scharfrichter in der Küche ein großes silbernes Tablett geben lassen. Das brachte er nun herein, und darauf lag, eingerahmt von Petersilienstängeln und anderen Kräutern, das Haupt des Propheten mit blutverschmiertem Haar. Blut rann über die Hände des Scharfrichters, seine Unterarme und seinen nackten Oberkörper.
    Zuerst wurde die Trophäe der sechzehnjährigen Tänzerin präsentiert, die sich angewidert abwandte und würgen musste. Herodias schien schnell zu begreifen, was sie da angerichtet hatte, und gewann als Erste die Fassung zurück. Sie wies den Scharfrichter und seine Beute mit einer Geste aus dem Saal, baute sich vor dem sichtlich mitgenommenen Fürsten auf, um ihn den Blicken der Gäste zu entziehen. Dann hielt sie eine

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