Mein Name war Judas
mit mir herumschleppe, um nicht übermütig zu werden.«
Dann ging er ein paar Schritte auf und ab, ehe er weitersprach. Es sei Zeit, sagte er, uns für die Reise zu rüsten – eine andere als sonst, eine schwierigere. Auf dem Weg nach Jerusalem würden wir immer wieder von Ordnungshütern angehalten und auch von einfachen Leuten angefeindet werden, doch wir sollten immer daran denken, dass wir im Besitz einer Wahrheit seien, die lange im Verborgenen gelegen habe und nun ans Licht gebracht werden müsse. Wir sollten keine Angst haben, denn wir und unser Anliegen seien dem Himmel bekannt. Was also könne man uns, die wir in der Hand Gottes lägen, antun?
»Wenn ihr auf Widerspruch trefft«, instruierte er uns, »so hört nicht darauf und lasst euch nicht auf Debatten ein. Setzt einfach euren Weg fort. Was wir in die Welt tragen, ist heilig, und wir werden es nicht den Hunden zum Fraß vorwerfen. Werft keine Perlen vor die Säue. Geht nicht auf spitzfindige Gegenargumente ein. Die ausgeklügelten Reden von Eiferern können schneiden wie Messerklingen, und sie verletzen das Herz.«
Wenn wir jedoch auf Menschen träfen, die auf unsere Botschaft begierig seien und deren Augen leuchteten, weil sie die Wahrheit unserer Worte erkannten, dann sollten wir ihnen unsere Botschaft in aller Klarheit verkünden. »Denkt dran, dass Worte ein Funke sein können, der die ganze Welt in Brand steckt. Sie können Gold wert sein und die Welt bereichern. Sie können aber auch wie Exkremente sein, die alles verschmutzen.«
Wir sollten uns so fortbewegen wie früher: Während wir alle grob in Richtung Jerusalem zogen, sollten wir teils in Gruppen, teils zu zweit Abstecher in verschiedene Ortschaften machen, dort predigen und neue Anhänger gewinnen. Hier und da sollten wir alle wieder zusammentreffen. Dann wurden die verschiedenen Routen festgelegt. Diejenigen, die Betanien als Erste erreichten, sollten im Hause von Lazarus und seinen Schwestern auf die anderen warten. Von dort würden wir alle zusammen weiterziehen, mit den Anhängern, die sich uns unterwegs angeschlossen hätten. Pünktlich zum Passahfest sollten wir dann die Heilige Stadt erreichen.
In den Orten, durch die wir kamen, sollten wir uns nach ehrbaren Leuten umhören und dort nächtigen, sofern sie uns Zutritt zu ihren Häusern gewährten. Falls man uns die Gastfreundschaft verweigerte oder die örtliche Bevölkerung uns feindlich gesinnt war, sollten wir klaglos weiterziehen – in der Gewissheit, dass diesen Leuten nicht nur der Segen vorenthalten blieb, den wir sonst über sie gesprochen hätten, sondern dass sie auch am Tag des Jüngsten Gerichts ein schweres Los zugeteilt bekämen.
»Was für ein Los, Meister?«, fragte Matthäus.
Jesu Blick verdüsterte sich, seine Augen wurden zu Schlitzen, und seine Züge versteinerten. Es werde grausam sein, sagte er. Schwangere Frauen würden wünschen, sie wären nicht schwanger. Es gebe Folter, Tränen, Schreie und Reue …
Es waren dieselben Feuer-und-Schwefel-Drohungen, die er bereits in Kapernaum ausgestoßen hatte. Einem Impuls folgend stand ich auf und entfernte mich. Ich hätte nicht dasitzen können, ohne zu widersprechen. Aber ich wusste, dass es besser war, nichts zu sagen. Im Gehen fiel mir ein Gleichnis ein, das Jesus vor einigen Wochen erzählt hatte. Es handelte von einem König, der seine Diener ausschickte, um Gäste zur Hochzeit seines Sohnes einzuladen. Unter denen, die dann kamen, befand sich einer, der nicht dem Anlass gemäß gekleidet war. Auf Befehl des Königs wurden ihm Hände und Füße gefesselt, und er wurde in eine stockfinstere Zelle gesperrt. Ob man ihn je wieder freilassen würde, sagte man ihm nicht.
Es war eine brutale Geschichte mit einer harten und unverdienten Strafe. Ich hatte Jesus gefragt, was dieses Gleichnis zu bedeuten habe, und mit dem gleichen versteinerten Gesicht wie jetzt hatte er geantwortet: »Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.« War das etwa die Botschaft, die wir nun auf dem Weg nach Jerusalem verkünden sollten – dass die Strafe Gottes nicht nur hart, sondern auch willkürlich sein würde?
Weiter oben am Fluss traf ich Maria Magdalena, die unseren Abfall in einem kleinen Feuer verbrannte. »Hast du auch manchmal den Eindruck«, fragte ich sie, »dass unser Anführer Anflüge von Wahnsinn hat?«
Sie sah mich auf ihre unaufgeregte, vernünftige Art an und erwiderte: »Nein, niemals.«
Im Traum trägt
das Wasser
meine Füße nicht.
Es schlägt
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