Mein Offizier und Gentleman
betroffen. Sie merkte, dass ihre kleine Schwester nur mühsam die Fassung wahrte.
„Ja, bitte“, entgegnete Lucy, die sich im Moment nicht vorstellen konnte, Drew oder Lord Harcourt in aller Öffentlichkeit entgegenzutreten. „Wenn es dir nichts ausmacht?“
„Nein, natürlich nicht, Liebes. Geh, hol unsere Mäntel, während ich Drew sagen werde, dass wir gehen.“
Ohne jemanden zu beachten, eilte Lucy davon, von Wut erfüllt, weil sie sich der Lächerlichkeit preisgegeben sah. Natürlich hatte sie Miss Robinsons Botschaft nicht angezweifelt – sie hätte von Lord Harcourt stammen können. Kam sie möglicherweise sogar von ihm? Immerhin hatten er und Drew gewollt, dass sie in die Falle ging, damit sie die Schufte auf frischer Tat ertappen konnten!
Bei näherer Überlegung war ihr klar, dass die beiden Männer es nur gut gemeint hatten. Sie könnte sich jetzt genauso gut in der Gewalt dreier gnadenloser Burschen be fi nden, und wäre, um ihren Ruf zu wahren, gezwungen, einen von ihnen zu heiraten. Da jedoch alles so glatt abgegangen war, fühlte sie sich gedemütigt und war verärgert, weil sie sich sozusagen benutzt vorkam. Hätten Drew und Lord Harcourt ihr schlicht gesagt, was vorging, wäre sie den drei Intriganten einfach weit aus dem Weg gegangen. Ob Lord Harcourt glaubte, sie habe ihre Lektion immer noch nicht gelernt? Nie hätte sie sich freiwillig mit einem anderen Herrn als ihm getroffen! Sie wusste, dass man sie hatte schützen wollen, und doch konnte sie nicht dankbar sein. Sie wollte nicht wie ein Kind behandelt werden!
Als sie mit den Mänteln zurückkam, war sie immer noch zornig, doch immerhin gelang es ihr, Drew hö fl ich lächelnd zu versichern, dass es ihr gutgehe. „Richte bitte Lord Harcourt meinen Dank aus – wenn ich auch der Ansicht bin, ich hätte eure Hilfe nicht gebraucht, wenn ihr mir gesagt hättet, was mich erwartet.“
„Aber Lucy, dann hätten sie es vielleicht ein anderes Mal versucht, wenn wir nicht zur Stelle waren. Du musst nicht gekränkt sein! Was wir taten, war gut überlegt, glaub mir.“
Forschend sah Lucy ihn an. Nach und nach wurde ihr klar, dass dieser Zwischenfall nur deshalb so glimp fl ich abgelaufen war, weil ihre beiden Beschützer so und nicht anders gehandelt hatten.
„Ja, ich verstehe … trotzdem, Drew, fi nde ich, ihr hättet es mir sagen müssen. Ich bin kein Kind mehr, auch wenn manch einer das anders sieht.“ In hoheitsvoller Haltung entfernte sie sich.
Drew sah seine Frau an. „Ich fürchte, wir haben sie verärgert. Aber sie hat die möglichen Folgen nicht klar erkannt. Übrigens hat Lawrence, dieser Narr, Jack gefordert.“
„Nein!“, rief Marianne entsetzt. „Wie schrecklich! Wie gut nur, dass Mama nicht hier ist! Sie wäre so beunruhigt.“
„Ich schätze, wir werden es diskret abmachen können.“
„Das hoffe ich um Lucys willen. Ihr Name soll nicht durch den Schmutz gezogen werden! Komm, sie wartet auf mich. Lass uns das zu Hause besprechen.“ Sie schickte sich an, der Schwester zu folgen.
„Ich muss bleiben, Liebling. Natürlich werde ich Jack sekundieren.“
„Müssen sie sich unbedingt duellieren?“
„Da ist wohl nichts zu machen. Jack schlug Lawrence nieder, und der besteht auf Satisfaktion.“
Marianne seufzte. „Gut, mein Lieber, nur halte mich auf dem Laufenden, ja?“
„Sorge dich nicht, Liebes, in ein paar Tagen ist alles vergessen.“
In Marlbeck House angekommen, dankte Lucy ihrer Schwester, wehrte aber ihre weitere Fürsorge ab und lief hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich von der Zofe rasch aus dem Kleid helfen ließ und sie dann fortschickte. Vor dem Frisiertisch sitzend, betrachtete sie sich nachdenklich im Spiegel. Sicher, dieses Kostüm war ein wenig gewagter gewesen als ihre sonstige Kleidung, doch bei Weitem nicht zu offenherzig. Man konnte sie unmöglich für leichtfertig gehalten haben. Natürlich hatte sie mit den Herren gescherzt, doch immer war sie zurückhaltend und dezent geblieben, ohne je unziemlich zu schäkern, wie die älteren Damen es oft taten. Andererseits, wenn die Entführung tatsächlich geplant gewesen war, konnte es nichts mit ihrer Aufmachung zu tun gehabt haben. Sie war sich keiner Schuld bewusst, weshalb also war ausgerechnet sie das Opfer solcher Intrigen geworden? War es als Ulk gedacht gewesen? Nein, diese jungen Schufte mussten einfach skrupellos sein. Nun endlich wurde ihr schaudernd bewusst, dass sie tatsächlich in größter Gefahr geschwebt hatte. Sie könnte in
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