Mein Offizier und Gentleman
Bitte um Aufschub alles verdorben hätte, nun jedoch sah sie, dass er Wort hielt. Indem er seine Schwester einlädt, macht er es mir möglich, ihn zu besuchen, ohne gegen die Konventionen zu verstoßen, überlegte Lucy froh.
„Ach, das ist wunderbar, Marianne. Wie ich mich darauf freue!“
„Das dachte ich mir“, sagte Marianne neckend. „Hat er es nicht geschickt angefangen?“
„Ja.“ Lucy strahlte. „Weißt du, es ist ja gut und schön, jemanden auf Gesellschaften zu treffen, doch man lernt ihn erst richtig kennen, wenn man ihn in seiner vertrauten Umgebung sieht. Hältst du mich jetzt für töricht?“
„Nein, Liebes, ich staune nur, weil deine Überlegungen von großer Reife zeugen. Also kann ich Drew sagen, du bist mit dem Plan einverstanden?“
„Ja. Ehrlich gesagt hatte ich meine Antwort an Jack schon ein wenig bereut, doch nun ist ja alles gut.“ Fröhlich eilte sie in ihr Zimmer.
Marianne sah ihr nachdenklich hinterher. Jack musste sehr tief für Lucy fühlen, denn gewiss hatte es ihn all seine Redekunst gekostet, seiner Schwester, die den Familienbesitz kaum einmal aufsuchte, den Besuch schmackhaft zu machen. Aber welche Schwester wäre nicht neugierig auf die Frau, die der Bruder zu heiraten gedachte.
Lucy hatte einen angenehmen Nachmittag mit ihren Freundinnen verbracht und wanderte nun mit Amy Robinson, die seit der versuchten Entführung so etwas wie eine Vertraute geworden war, heimwärts. „Lord Harcourt lud uns für einige Tage auf seinen Landsitz ein“, vertraute sie ihr an. „Lady Staunton ist zurzeit dort zu Gast.“
„Lady Staunton?“, fragte Amy erstaunt. „Ist sie nicht mit einem wesentlich älteren, sehr wohlhabenden Mann verheiratet?“
„Ja, so hörte ich.“ Lucy brach ab. Entsetzt sah sie, wie ein kleines Kind, das sich von der Hand seiner Mutter losgerissen hatte, auf den Fahrweg lief, direkt vor einen Lastkarren. Unwillkürlich wollte sie eingreifen, als im gleichen Augenblick ein Mann vorstürzte und das Kind von dem Wagen fortzerrte, fast unter den Hufen der Pferde hervor. „Oh, wie mutig!“, rief sie und konnte ihren Blick nicht von dem Retter lösen. Sie hatte ihn erkannt. „Hast du das gesehen, Amy?“
„Ja, das war Geistesgegenwart!“, bestätigte die Freundin. „Von Lord Harcourt hätte ich aber auch nichts anderes erwartet. Während er unter Wellington diente, wurde er mehr als einmal wegen Tapferkeit erwähnt. Als sein Vater starb, gab er den Armeedienst nicht auf, was viele gewundert hat. Erst vor einigen Monaten kam er zurück und nahm dann die Verwaltung seines Besitzes wieder selbst in die Hand.“
„So?“ Lucy hörte kaum zu, denn sie hatte nur Augen für Jack Harcourt, der immer noch tröstend auf den Knaben einsprach. Er hielt das Kind liebevoll im Arm, und als er es mit einer fürsorglichen Geste der Mutter übergab, kamen Lucy vor Rührung fast die Tränen. Dass jemand seine mutige Tat beobachtet hatte, war ihm nicht bewusst, und Lucy mochte ihn nicht auf sich aufmerksam machen, sondern betrachtete angelegentlich die Auslagen eines kleinen Ladens, ehe sie mit Amy ihren Weg fortsetzte.
Jack fand, als er am Nachmittag desselben Tages heimkam, einen weiteren Brief vor, der dieses Mal mit Namen unterzeichnet war. Er las:
„Mir ist es gelungen, meine Vermutung zu beweisen, und ic h glaube, meine Entdeckung wird dich sehr interessieren, Jack . Ich weiß, dass ich mich damals unverzeihlich verhalten habe , und bereue es seither unaufhörlich. Vielleicht erwarte ich z u viel, wenn ich Verzeihung erhoffe – aber ich möchte meine Ver fehlungen wiedergutmachen – das betrifft besonders Amelia . Glaube mir, ich liebe sie immer noch zutiefst. Wenn dir ihr e Sicherheit wichtig ist, musst du mir in dieser Angelegenhei t vertrauen .
George Garrick “
Stirnrunzelnd las Jack den Brief ein zweites Mal. Eigentlich beabsichtigte er noch am gleichen Tag zu seinem Landgut abzureisen, doch vielleicht sollte er Garrick vorher noch anhören. Die Erwähnung Amelias empfand er zwar als unverschämt, andererseits hatte er selbst ja schon vermutet, dass hinter dieser Affäre mehr steckte, als auf den ersten Blick ersichtlich war. Wenn diese Sache tatsächlich Amelia betraf, musste er Garrick unbedingt aufsuchen …
Jack war seinen Besuchern vorausgefahren, um sie persönlich willkommen heißen zu können. Seine Schwester war eben eingetroffen, und er umarmte und küsste sie herzlich. „Amelia, meine Liebe, wie schön, dich hier zu haben! Ich
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