Mein Onkel Ferdinand
Mutter mit sanfter Heimtücke, »aber sie hat wirklich einen liebenswerten Charakter. Und vergiß das eine nicht, Hermann: der Bruder von Oberbürgermeister Vogelsang ist Direktor bei der I. G. Farben in Frankfurt!«
Ich begegnete diesem offenkundigen Versuch, mich zu verkuppeln, mit eisigem Schweigen, so daß meine arme Mutter sich immer kläglicher verzappelte und das einseitig geführte Gespräch mit der resignierenden Bemerkung beendete, wenigstens in einer Hinsicht unterscheide ich mich vorteilhaft von meinem Onkel Ferdinand: ein Casanova sei ich nicht... Und in diesem Punkt konnte ich ihr knirschend zustimmen.
10
Daheim angekommen schrieb ich noch in der gleichen Nacht ein paar höfliche Zeilen an Fräulein Drost: daß ich eine Einladung erhalten hätte, den Rest meines Urlaubs im Gebirge zu verbringen, und daß ich ihr aus diesem Grunde das Buch durch die Post zurückgeben müsse. Aber ich konnte es nicht unterlassen, ihr für die Zukunft alles Gute zu wünschen, und Unterzeichnete kurz und kühl: hochachtungsvoll H. Martin. Den Brief legte ich in das Päckchen, das ich sogleich zurechtmachte und adressierte, um es am nächsten Morgen in aller Frühe aufzugeben. Und damit war diese Episode in meinem Leben beendet. Es gelang mir sogar, sehr rasch einzuschlafen, ein Umstand, der mir zu beweisen schien, daß der kleine Gott mit seinen tückischen Pfeilen mich nicht ernsthaft getroffen und verwundet hatte.
Am nächsten Morgen lief ich auf dem Rückwege von der Post Onkel Ferdinand in die Arme. Er sah noch blühender und noch gesünder aus als sonst und schien sein Gewicht in den wenigen Tagen, seit ich ihn zuletzt besucht hatte, fast verdoppelt zu haben. Er platzte förmlich aus der rostbraunen Weste und konnte den Rock nicht mehr schließen. Mit der grauen Melone, den hellen Gamaschen über den Schuhen und dem imponierenden Brustkasten sah er wirklich wie ein Mann aus, der seinen Rennstall in Düsseldorf hielt und auf den ein dreihunderter Mercedes mit livriertem Chauffeur hinter der nächsten Straßenecke wartete.
»Hallo, Hermann, lieber alter Junge!« schrie er mir schon von weitem entgegen, so daß sich alles nach uns umdrehte. »How do you do? Wo steckst du nur die ganze Zeit? Weshalb läßt du dich bei deinem alten Onkel Ferdinand überhaupt nicht mehr blicken. Wandelst du auf Rosenpfaden, oder hast du dir schon einen Dom eingetreten? Denn gerade glücklich siehst du eigentlich nicht aus.«
»Wie geht's?« fragte ich nicht allzu freundlich, denn die Erwähnung des >Rosenpfades< bürstete mich gegen den Strich. »Was macht das famose Institut Greif? Deinem Umfang nach zu schließen scheinst du im Geld zu schwimmen...«
»Es ist eine Affenschande«, murrte Onkel Ferdinand, »jeder Tropfen, den ich hinter die Binde gieße, setzt sich bei mir als Speck an. Aber Dank für die gütige Nachfrage. Der Saftladen geht prima primissima. Er ist eine richtige Goldgrube. Aber anstrengend! Wahrhaftig, so anstrengend, daß die Geschichte auf die Dauer zu anstrengend für mich wird. Und ich habe nicht die geringste Absicht, in meinen Jahren an der Managerkrankheit draufzugehen. Das kann einen wie der Blitz treffen, und ich sehe nicht ein, weshalb ich das Leben nicht noch ein Weilchen genießen soll...«
Er nahm mich am Arm und zog mich mit.
»Ich bin nämlich gerade auf dem Wege zu den Neuesten Nachrichten. Ich will dort eine Anzeige aufgeben. Eine kleine Verkaufsanzeige. Ja, Hermann, auch wenn du mich noch so komisch ansiehst: ich verkaufe den Laden. Und wenn ich nur fünftausend Piaster herausschlage, dann schmeiße ich meine Kröten mit Gustavs Lirumlarum zusammen, und wir machen gemeinsam ein Ding auf, das sich >Hören Sie< nennt. Was meinst du dazu?«
»Mit Herrn Graser, dem Likörfabrikanten?«
»Genau mit dem!« bestätigte Onkel Ferdinand und spannte den Bizeps und reckte den Unterarm steil nach oben: »So eine dicke Sache! Gustav fabriziert die Schnäpse und ich richte an jeder Straßenecke eine Probierstube ein, wo du vom frühen Morgen bis zum späten Abend einen Seelentröster verlöten kannst. Rollmöpse und Soleier kannst du natürlich auch haben, und alles zum Einheitspreis von lumpigen vierzig Pfennigen...«
»Ich verstehe«, nickte ich, »der Umsatz soll es machen...«
»Genau Hermann, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Umsatz treibt die Bienchen in die Ladenkasse. Aber das ist nicht alles. Gut, Gustav braut die Schnäpse, aber der Kopf des Unternehmens ist dein alter Onkel
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