Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
Ferdinand. Überall, wo ein Fleck auf einer Wand für Reklame frei ist, wirst du bald meine Slogans lesen:
Mich zieht's mit jeder Faser
zum Schnaps von Gustav Graser!
    Na, Junge, ist das ein Ding oder nicht?!«
    Onkel Ferdinand schien mein Schweigen für innere Ergriffenheit vor seiner poetischen Leistung zu halten. Er wiederholte den Zweizeiler genießerisch, horchte dem Klang seiner eigenen Stimme nach und meinte schließlich, daß man allein schon beim Lesen solcher Werbesprüche ein richtiges Durstgefühl verspüren müsse. Ich widersprach ihm nicht gerade, aber ich erlaubte mir doch die Bemerkung, daß vielleicht nicht alle Leute seine Kragenweite und seinen unverwüstlichen Durst und Appetit hätten.
    »Das mag stimmen, mein Junge«, sagte Onkel Ferdinand sehr ernst, »aber das ist letzten Endes doch nur eine Sache der Erziehung. Das deutsche Volk muß eben zu einem Volk von Trinkern erzogen werden, verstehst du! Das ist ein schönes Ziel, und ich getraue mir ohne weiteres zu, es zu erreichen. Sieh einmal, Hermann, das ist doch die gleiche Geschichte wie mit dem Zähneputzen. Glaub mir, alter Junge, in meiner Jugend hat kein Mensch auch nur im Traum daran gedacht, eine Zahnbürste zu benutzen. Man aß ein Stück hartes Schwarzbrot, und das hielt die Zähne gesund und weiß.
    Dann hat ein einziger Reklamevers das Wunder vollbracht und Millionen von Menschen umerzogen und bringt den Zahnpastenfabrikanten Millionen und aber Millionen ein. Du weißt schon: Vor dem Essen, nach dem Essen, Zähneputzen nicht vergessen! — Irgendeinen so zugkräftigen Dreh brauche ich noch, und wir sind gemachte Leute!«
    Onkel Ferdinand hob plötzlich das Gesicht, als käme ihm hoch vom Olymp herab eine Eingebung.
Schütte froh in den Vergaser
täglich einen Schnaps von Graser!
    Er klopfte seine Taschen ab und suchte in fieberhafter Eile nach einem Bleistift. Ich reichte ihm meinen Kugelschreiber und gestattete geduldig, daß er meinen Rücken für seinen neuesten Geistesblitz als Schreibunterlage benutzte.
    »So kommen mir die Einfälle zu Dutzenden!« sagte Onkel Ferdinand froh bewegt. »Weiß der Himmel, woher ich diese Verse nehme. In unserer Familie hat es noch niemals einen Dichter gegeben. Die Danckelmanns waren alle so nüchtern und prosaisch wie Bohnenstroh...«
    »Das ist eben Gnade«, sagte ich, ohne daß es mich dabei zerriß. »Man hat es — oder man hat es nicht. Du hast es in dir!«
    Onkel Ferdinand barg den Zettel sorgfältig in seiner Brieftasche und stieß dabei auf eine Notiz, die er mir überreichte.
    »Du wolltest doch neulich Mister Murchisons Londoner Anschrift haben. Der Zimmerkellner vom Savoy hat sie mir besorgt. Da hast du sie: Graham & Graham, London, Madison Square 38. Es ist eine Anwaltsfirma. Murchison scheint dort tatsächlich angestellt zu sein. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, dann steht er zu den Herren Graham und Graham in verwandtschaftlichen Beziehungen. Jedenfalls hat er von den beiden, die ihn zum Schluß als seine >wohlaffektionierten Onkel!< grüßen, einen Brief in der Tasche gehabt. — Ein Hochstapler scheint unser Freund Murchison also nicht zu sein.«
    Ich schob den Zettel in die Tasche, dankte Onkel Ferdinand für seine Bemühungen und erklärte ihm, daß die Geschichte mich nicht mehr sonderlich interessiere. Es muß etwas in meinem Tonfall gelegen haben, was ihn veranlaßte, mir die Hand tröstend auf die Schulter zu legen.
    »Nimm es nicht tragisch, Hermann!« sagte er und klopfte mir den Rücken. »Auch mich hat mehr als eine grausam abblitzen lassen. Aber ich habe mich dann immer wieder mit der Geschichte getröstet, wo in einem Irrenhaus die beiden Kavaliere sitzen, von denen der eine tiefsinnig geworden war, weil ihm sein Lottchen durchgegangen war — und der andere total blödsinnig, weil er eben dieses Lottchen geheiratet hatte. Das ist wahre Philosophie, Hermann! Da steckt etwas drin, was nicht nur so geistreiches Geschwafel ist, sondern was man fürs praktische Leben jederzeit brauchen kann.«
    Es gelang mir nur schwer, Onkel Ferdinand davon zu überzeugen, daß er seinen Trost und seine philosophischen Gedanken am falschen Objekt verschwende und daß ich absolut nicht trostbedürftig sei. Um ihn endlich auf ein anderes Thema zu bringen, fragte ich ihn, wann er denn nun seine Schnapsideen zu verwirklichen gedächte. Und er erzählte mir: die Auskunft, die er seinerzeit der Essenzenfabrik Köberles in Dortmund gegeben habe, hätte so vorzüglich gewirkt, daß sein

Weitere Kostenlose Bücher