Mein perfekter Sommer
vorsichtig frage: »Also, wenn du keine Schwierigkeiten damit hast, warum sagst du es den Leuten dann nicht? Ihr lebt hier doch auch nicht im Mittelalter, die Leute scheinen doch ganz anständig zu sein.«
Er schnaubt. »Klar, wenn es um ganz normale Sachen geht. Aber, Jenna, das ist nun mal eine ganz kleine Stadt und meine Eltern … Na, sagen wir das einfach mal so: Ihnen liegt was an den traditionellen Werten, Familie und so Zeugs.«
Wieder überfällt mich das Mitgefühl. »Das muss furchtbar sein.«
»Geht so.«
Erstaunt setzte ich mich auf. »Was?«
Er zuckt die Achseln, einen Arm hat er sich zum Schutz vor der Sonne über die Augen geschoben. »Ist keine große Sache. Wenn ich wegziehe und aufs College gehe, werde ich mein Coming-out haben, aber im Moment brauch ich das nicht, ist okay so.« Er registriert mein ungläubiges Keuchen. »So was muss nicht unbedingt ein Drama sein, Jenna. Also für mich jedenfalls nicht.«
»Aber hast du denn nicht das Gefühl, dass du nicht ehrlich bist, dass du einen Teil von dir verstecken musst?« Ich kann nicht glauben, wie leicht er das nimmt.
»Nein, eigentlich nicht. Ich mag Jungs. Na toll. Das ist doch nicht die Gesamtsumme meiner Existenz.« Er beugt sich vor. »Und wenn ich hier mein Coming-out hätte, dann wäre es das. Alles würde anders werden. Vielleicht würde
ich es mir überlegen, wenn ich jemanden daten würde oder so. Aber das ist bisher noch nicht passiert.« Er wirft Kiesel in den Fluss, einen nach dem anderen.
»Und keiner hat einen Verdacht?«
»Hattest du doch auch nicht.« Er dreht sich um und schaut mir in die Augen. »Ehrlich, das ist keine große Sache. Klar, bei Jungsgesprächen, da spiel ich so mit und manchmal sag ich was, dass ich ein Mädchen in der Schule mag – eine, die einen Freund hat, die ich nicht mal daten könnte, wenn ich wollte – aber abgesehen davon … ist das kein Thema. Ich will einfach, dass alles normal bleibt, verstehst du?«
Ich nicke, voller Zweifel. In meinen Ohren klingt es immer noch nicht richtig, einfach so eine ganz Seite seiner Identität auszuklammern, aber er scheint ganz zufrieden damit zu sein, es dabei zu belassen. Wäre ich wohl auch, wenn der Plan nicht einen großen Schönheitsfehler hätte.
»Ich will nicht deine Freundin sein. Nimm’s mir nicht übel«, sage ich.
»Tu ich nicht.« Er schafft es, ein wenig zu grinsen. »Ich glaub, ich kann das ausbügeln.«
»Und das wäre okay? Deine Tarnung würde damit nicht auffliegen?«
»Nein, das geht klar. Ich sag einfach, ich hätte gemerkt, dass du nicht die Richtige für mich bist.«
»Oder dass ich dich hab abblitzen lassen«, schlage ich vor. Mir ist nämlich eine Wahrheitsverdrehung lieber, die mich gut aussehen lässt. Ist doch das Mindeste.
»In Ordnung«, stimmt er grinsend zu. »Ich lag dir zu
Füßen und erklärte dir meine Liebe, aber du hast mich abgewiesen.«
»Schon besser.« Ich lächle, endlich kann ich mich entspannen.
Ethan steht auf und mustert unseren verhedderten Haufen Angelzeug. »So, willst du es noch einmal versuchen? Ich kann nicht mit leeren Händen nach Hause kommen.«
»Redest du vom Angeln? Klar.« Ich strecke die Hände aus und er zieht mich hoch. »Aber ich fange nichts, das verspreche ich.«
Es stellt sich heraus, dass ich mich irre. Noch keine zehn Minuten stehen wir wieder im Fluss, da zerrt etwas an meiner Schnur.
»Ethan!«, brülle ich überrascht. »Was mach ich jetzt?«
Er platscht heran und applaudiert. »Kurbeln, zieh ihn ran!«
»Ich will nicht!« Ich ruckele an der Angel und will abschütteln, was immer sich in der Schnur verfangen hat, doch das Ziehen wird immer heftiger. »Ich wollte eigentlich nichts fangen.«
Ethan starrt mich an. »Wie meinst du das?«
»Ich bin Vegetarierin!«, erkläre ich, während ich immer noch nichts unversucht lasse, um meinen Fang wieder loszuwerden. »Ich glaub nicht an das Töten von Tieren.«
Er zögert. »Streng genommen ist ein Fisch …«
»Oder Fischen!«
Einigermaßen verwirrt schaut Ethan mich an. »Aber warum hast du denn …?«
»Ich hab den Korken auf dem Haken stecken lassen! Ich hätte nicht gedacht, dass tatsächlich was anbeißen könnte.«
»Sieht aber ganz so aus.« Mit belustigtem Kopfschütteln nimmt Ethan mir die Rute ab und holt die Leine ein. Und da haben wir’s, vom Korken keine Spur, ein Fisch zappelt am Haken, silbrig graue Schuppen glitzern in der Sonne. »Das ist aber ein großer«, sagt er voll Bewunderung.
»Ich will
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