Mein russisches Abenteuer
Geheimnisvolles und Mächtiges
näherte sich den Türen von Sergejs Haus, und Sein Herz fühlte dies. ( LT 1,6,1-2)
Es war die Zeit der Perestroika. Veränderung lag in der Luft, etwas
ging zu Ende, etwas Neues war im Kommen, aber was genau das war, wusste
niemand. In den Zeitungen standen plötzlich Dinge, die da vorher nicht
gestanden hatten, in den Gesprächen der Menschen mischte sich Hoffnung mit
apokalyptischen Ängsten. Man diskutierte über nukleare Vernichtung, über
Umweltzerstörung und Überbevölkerung, pandemische Seuchen, planetare
Katastrophen. Sergej, der seit Langem ahnte, dass mit der Welt außerhalb seines
Zimmers etwas nicht stimmte, las eines Tages eine Zeitungsnotiz, in der von
übersinnlich begabten Medien die Rede war und von dunklen Prophezeiungen aus
einer Welt jenseits der unseren.
Nach
den Worten dieser Welt habe der Mensch die Möglichkeit zur Rettung bereits
verloren, denn er habe in sich eine schadenbringende Kraft entwickelt. Ein
leidbringendes Sakrament erwarte das Menschengeschlecht in den nächsten Jahren.
Der Menschensohn ließ diese Notiz nicht unbeachtet. Sein Antlitz wurde finster,
und Er versank in tiefes Nachdenken … Und aus Seiner vom flammenden Feuer
brennenden Brust drang ein Schrei in die Weiten des Alls: »Nein! Es muss einen
Ausweg geben für die Menschheit!« ( LT 1,6,8-13)
Etwas regte sich in Sergej, er wusste nicht, was es war. Er spürte
die Katastrophe, die sich anbahnte, er wusste, dass jemand sie verhindern
musste. Aber war dieser Jemand, konnte es sein, war es denn möglich, dass … er
selbst?
Wenig später kam der nächste Fingerzeig. Sergej lebte inzwischen
ausschließlich von seiner Malerei, den Job als Verkehrspolizist hatte er
hingeschmissen. Eines Tages klopfte ein Priester an seine Tür – er brauche da
zwei Ikonen, Heiliger Nikolaj und Gottesmutter, ob Sergej so was könne? Sergej
hatte nie Ikonen gemalt. Er ging nicht in die Kirche, war nicht einmal getauft,
sein Verhältnis zu Gott war ungeklärt. Aber er war jung und brauchte das Geld.
Bald
berührte der erste Farbstrich den vorbereiteten Untergrund. Sergej hielt sich
nicht an die formalen Bedingungen der Ikonenmalerei, sondern schuf ein
lebendiges Bild und ließ Nikolaj auf einer Wolke wandeln … Der
Schöpfungsprozess hielt an, und bald war das zweite Bild beendet – die Mutter
Maria, ebenfalls auf einer Wolke wandelnd. ( LT 1,6,34-39)
Sergej lieferte die Ikonen in der Kirche ab. Ein Diakon nahm sie
entgegen, er plauderte eine Weile mit Sergej, dann bot er ihm spontan an, ihn
zu taufen – wo er doch schon mal hier sei, keine große Sache, und überhaupt,
ein ungetaufter Ikonenmaler, ob er sich denn keine Folgeaufträge erhoffe?
Sergej fühlte sich erpresst. Höflich bat er um Bedenkzeit.
Wenig später zitierte ihn der Priester in die Kirche. Der Mann war
sichtlich nervös, er rieb sich die Hände, sprach ausweichend, und schließlich
überwand er sich – er hatte schlechte Nachrichten für Sergej. Seine Ikonen
waren bei den Kirchenoberen durchgefallen.
Er
entrüstete sich, dass die Heiligen mit nackten Füßen auf Wolken gingen, dass
ihre Gewänder im Winde wehten, dass die Hände des Wundertäters Nikolaj zu groß
seien, wie bei einem Bauern, und nicht so fein und edel, wie sie bei einem
Heiligen sein müssten. ( LT 1,6,56)
Der Priester schlug Kompromisse vor: hier ein paar ergänzende
Pinselstriche, dort ein kleiner Eingriff, die Wolken weg, Schuhe an die Füße,
Sergej sei doch schließlich Profi. Sergej aber fand das Lavieren des Priesters
genauso abstoßend wie den Erpressungsversuch des Diakons. Durften sich solche
Menschen Gottesdiener nennen?
Bitterkeit
berührte Sein Herz. Nur leise ertönten kurze Sätze aus Seinem Mund als Antwort
an den wartenden Auftraggeber: »Ich werde nicht ein Haar ändern. Ich kann das
Bild, das ich selbst gesehen habe, nicht verraten.« ( LT 1,6,57-62)
Sergej zahlte dem Priester das Honorar zurück und nahm die Ikonen
mit nach Hause, wo er sich in dreifacher Verzweiflung auf sein Bett warf: Er
war pleite, der Weltuntergang nahte, und von einer solchen Kirche war keine
Rettung zu erwarten.
Und
während Er in tiefem Nachdenken und Kummer verblieb, spürte Er, wie sich etwas
Großartiges in Ihm entwickelte, erwachte und erhob … Tränen netzten das Antlitz
des Menschensohnes. Die vorherbestimmte Erleuchtung hatte sich erfüllt! ( LT 1,6,66-69)
Der 18. August 1991 sollte ein denkwürdiger Tag werden, für das
Land, für die Welt, für das
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