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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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der ich Ivo umarmte, küsste, seine Hand in meine nahm, völlig zusammenhanglos geschah das, und damit versuchte ich die Gefahr, die mir Angst machte, die düstere Stimmung im Haus am Hafen zu vertreiben. Und Ivo gab nach, er verzieh meinem Vater, was er mit seiner Mutter trieb, indem er meine Wangen streichelte und meine Haare zu einem Zopf flocht.
    – Mama, guck mal, eine Möwe!
    Theo rannte auf mich zu und streute feuchten Sand herum. Vor uns spazierte der weiße, stolze Vogel und nickte höflich bei jedem Schritt. Wir beobachteten ihn eine Weile, und Theo stand vor lauter Begeisterung der Mund offen.
    – Weil Möhren für Häuslichkeit stehen. Theo sah mich nicht an, als er es sagte.
    – Was?
    Ich war völlig woanders in meinen Gedanken, bei der Möwe, die im Begriff war wegzufliegen.
    – Weil, weil. Im Kalender steht das so drin.
    – In welchem Kalender?
    – Im Kalender, der bei Oma und Opa hängt. Im Küchenkalender. Und weil da Tipps drin sind, wie man sein Zuhause schöner macht.
    – Möhren stehen für Häuslichkeit?
    – Ja. Möhren sorgen für eine gemütliche Atmosphäre in der Küche. Möhren und Orangen. Aber Orangen mag ich nicht.
    – Aha. Und wieso glaubst du, dass unsere Küche mehr gemütliche Atmosphäre braucht?
    – Na ja, nicht die Küche, sagte er und rannte davon, zu dem rothaarigen Jungen, der mit einem Spielzeug Sandfiguren formte.
    Auf der Mailbox sagte Mark etwas von Viel zu tun und Ich schlafe heute lieber bei Alex und Kannst du morgen Theo zu meinen Eltern bringen, sie nehmen ihn mit zu einem Ausflug an die Nordsee.
    Nachdem wir auf DVD zum gefühlt fünfzigsten Mal König der Löwen geschaut hatten, ging Theo schlafen. Während Simba um seinen Platz im Dschungel kämpfte, dachte ich die ganze Zeit an die verdammten Möhren in unserer Küche. Ich ging ins Schlafzimmer und setzte mich an den Laptop, immer noch die vergammelte Möhre vor Augen.
    Mein Posteingang quoll über, und ich ging mit geübtem Blick die Betreffs durch.
    Leo mit dem Betreff: Wichtig! Also lies mich!
    Ich überflog die Mail. Leo kritisierte mich, schimpfte auf meine Verantwortungslosigkeit, sprach von seinem grenzenlosen Vertrauen und seiner Enttäuschung, ließ erneut mitschwingen, dass er ja große Hoffnungen in mich gesetzt und vorgehabt habe, mir die ganze Kultur zu überlassen, aber so könne es ja nicht weitergehen, wenn ich so weitermachen würde, dann könne er das nicht verantworten. Gerade jetzt erwarte er von mir Loyalität, er erwarte Professionalität … Ich las nicht mehr zu Ende. Stattdessen fasste ich kurz zusammen:
    »Lieber Leo, danke für deine Mühe, dein Verständnis und deine Geduld, jedoch erscheint es mir in meiner jetzigen Verfassung unmöglich, deinen Forderungen nachzukommen und deinen Erwartungen gerecht zu werden. Ich muss ehrlich sein und dir mitteilen, dass ich momentan eine Auszeit für das Beste halte. Wenn es für dich nicht in Frage kommen sollte, muss es halt eine Kündigung werden, so leid es mir tut. Ich glaube, dieser Weg ist momentan das Beste für uns beide. Ich bin mir sicher, ich werde gebührend ersetzt werden können. So räume ich die Tage mein Büro aus, und Nadia kann es sicherlich gut nutzen. Dann schau ich noch mal bei dir vorbei, und wir können alles Weitere bereden. Auf bald, Stella.«
    Ich wusste nicht, warum ich das tat, aber irgendwas in mir widersetzte sich, weigerte sich, weiterhin Dinge zu tun, die ich nicht tun wollte.
    Die nächste Mail war von Ivo, mit gar keinem Betreff:
    »Ich bin gelandet. Es ist warm hier, ich bin gut gelaunt, mir geht es fabelhaft, wie immer, wenn ich hier bin. Und ich warte. Im Anhang findest du das Ticket für den Flug am nächsten Mittwoch und auch alle andern Infos, die du brauchst. Ich warte auf dich. I.«
    Ich klappte den Laptop wieder zu und atmete tief durch. Ich tat so, als hätte ich die Mail nicht gelesen. Ich schaltete den Fernseher an, zappte mich durch das Universum der Verblödung und der Selbstvergessenheit. Aber ich konnte nichts vergessen. Ich sah Theo, der im Kalender seiner Großeltern das Glücksrezept für sein Zuhause, seine Familie gefunden hatte. Ich sah Ivo, der als kleiner Junge meine Haare flocht oder zu einem Knoten band, ich sah meinen Vater, der die kleine, zierliche Frau um sich geschlungen hatte, wie angekettet, wie angeschweißt, ich sah Tuljas ergriffenen Gesichtsausdruck, als ich ihr mitteilte, dass ich Ivo brauchte, ich sah meine Schwester, samt ihren drei Alphasöhnen, und das Gleitgel in

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