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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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da liegen, tief und selig. Ich setzte mich auf einen Stuhl und sah ihn an. Ich sah ihn lange an, und sein Anblick machte mich traurig. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie erschien er mir unheimlich verletzlich, unheimlich allein und unheimlich jung. Als wäre er im Schlaf der kleine Ivo, der mit den abstehenden Ohren und dem schwarzen Hund. Der Ivo, der mit mir Verstecken spielte und sich meine glühenden Handinnenflächen an die Wangen legte.
    Sieben Stunden später wachte er auf. Ich saß im Gemeinschaftsgästezimmer und versuchte zu lesen, während ich alle zwanzig Minuten ins Zimmer schlich und nach ihm schaute.
    Er stand mit rosa gefärbten Wangen und einem zufriedenen Grinsen vor mir und sagte:
    – Ich habe einen Mordshunger. Wollen wir was essen gehen?
    Ich sah ihn verdutzt an.
    – Ich kann dir Nudeln machen.
    – Oh, ja. Das klingt wunderbar. Geht das schnell?
    – Ich geb mir Mühe.
    Während ich am Herd stand, saß er in der Küche, rauchte, trank nervös die Weinreste meines Mitbewohners aus und beobachtete mich.
    – Was ist los mit dir?, fragte ich ihn.
    – Ich habe ein wenig zu viel getrunken letzte Nacht.
    – Getrunken? Bist du dir auch sicher, dass es getrunken war und nichts anderes?
    – Das geht dich wohl nichts an.
    – Du bist fast umgekippt! Und außerdem, was machst du überhaupt hier?
    – Ich mache gerade ein paar Familienbesuche: Tulja, Frank.
    – Und ich zum Schluss, damit du mit einem guten Gefühl nach Hause gehen kannst, was? Dass du ja auch alle gesehen hast.
    – Sei nicht so. Ich bin echt nicht in Stimmung für diese zickige Art von dir.
    – Ich bin nicht zickig. Es ist nur ein wenig merkwürdig, dass du plötzlich vor meiner Tür stehst und behauptest, du wärst auf Visite.
    – Soll ich gehen? Kein Problem.
    Einen kurzen Augenblick dachte ich, dass es wundervoll wäre, wenn ich jetzt die Kraft aufbringen würde, seine Frage zu bejahen, einmal die Kraft, ihm zu sagen, er solle gehen und vor allem nie mehr wiederkommen, aber ich wusste, dass ich dann in ein bodenloses Loch fallen und fallen würde, all die kommenden Wochen und Monate meines Lebens.
    – Nein. Du kannst bleiben. Ich stellte ihm einen Teller voll Spaghetti auf den Tisch.
    Als ich aus dem Badezimmer kam, lag er ausgestreckt auf meinem Bett und weinte. Ich erstarrte, traute meinen Augen nicht, so selbstsicher und gut gelaunt war er bei unserer Plauderei über die Presse und über Berlin. Ich blieb stehen und wollte ihm Zeit lassen, bis er sich beruhigt und wieder aufgerichtet hatte. Aber er beruhigte sich nicht und richtete sich auch nicht auf. Ich schritt langsam auf ihn zu und setzte mich vorsichtig auf die Bettkante, ich traute mich nicht, ihn zu berühren, und streckte nur meinen Arm aus, als würde mein Arm ihn impulsiv berühren wollen und von meinem Hirn keine Erlaubnis dazu bekommen.
    – Was ist los, Ivo?, flüsterte ich und strich mit meinen Fingern die Bettdecke glatt.
    – Ich vermisse dich so, schluchzte er wie ein kleines Kind auf und drehte mir den Rücken zu.
    – Du vermisst mich? Und deswegen weinst du?
    – Es ist einfach so scheiße, das alles, es ist scheiße und unfair. Ich vermisse dich.
    – Ivo, was redest du da? Ich verstehe gar nichts mehr.
    Er nahm meine Hand in seine und begann meine Fingerkuppen zu küssen, in sie hineinzubeißen.
    – Weißt du noch, was ich dir damals gesagt habe? In München? Dass wir uns manchmal berühren müssen, ja? Also, dass ich mich in dir fühlen muss, anfassen. Das ist schon längst fällig.
    Ich sprang auf. In mir bebte alles. Sein Ton war wieder gefasst, er konnte wieder über mich sprechen, als wäre ich ein Gegenstand, den man von Zeit zu Zeit in die Ecke stellen und wieder herausholen kann, wie um zu überprüfen, ob er noch da ist.
    Er erhob sich und kam auf mich zu. Ich wich zurück, bis ich im Türrahmen stand. Er ergriff mein Handgelenk und zog mich an sich, dann hob er mein Kinn und sah mich an. Und statt ihm die fällige Ohrfeige zu verpassen, küsste ich ihn.
    Ich weiß nicht, wie spät es war, als meine Mitbewohnerin an meine Tür klopfte und in dem überheblichen Ton, den sie immer draufhatte, mitteilte, dass ich Besuch hätte. Wir hatten geschlafen, und bevor ich auch nur meinen Kopf von Ivos Brust heben konnte, stand schon Kasper mitten in meinem Zimmer, mit einer Weinflasche in der Hand.
    – Ich dachte mir …, begann er, bis er verstand, was hier passierte, und sofort verstummte. Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen, als würde das

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