Mein Sanfter Zwilling
Schauspielerin, zu Tulja.
Ivo hatte ein Mädchen mitgebracht, eine Engländerin, die umschmeichelt und umsorgt wurde, als wäre sie die Queen persönlich. Alle fanden es unglaublich aufregend und spannend, eine Frau an Ivos Seite zu sehen und somit mehr über Ivos Geschmack und Vorlieben zu erfahren. Sie war intelligent, wahnsinnig sarkastisch und hatte endlos lange Beine. Eine Kunstjournalistin, sechs Jahre älter als Ivo.
Ich hasste sie auf den ersten Blick. Denn sie war keine Lily aus München, die Tage und Wochen auf Ivos Schwanz warten würde, auf kleine Glücksportionen, die ihr Ivo nachts im Bett servieren konnte, um tagsüber wieder aus ihrem Leben zu verschwinden. Die hier war gleichberechtigt, sie war scharf, sie war klug. Und sie spielte mit ihm. Forderte ihn permanent heraus, tat das, worauf Ivo am meisten abfuhr.
Auch Leni hatte einen Freund mitgebracht. Einen unsäglichen, irgendein indisches Instrument spielenden Yogakerl. Während ich die Einzige war, neben Tulja, die allein gekommen war und schon aus hundert Metern Entfernung nach Einsamkeit riechen musste.
Die Engländerin, die Bea hieß, hatte aufregende Geschenke mitgebracht und erzählte ununterbrochen pointierte, witzige Geschichten aus ihrem Leben, aus ihrem und Ivos gemeinsamen Leben – sie hatten sich in New York kennengelernt – und schloss ihre Weihnachtsrede ab, indem sie verkündete, Deutsch zu lernen, um mit Ivo nach Berlin zu ziehen.
Ivo sah mich nicht an. Das heißt, er sah mich an, wie er alle anderen ansah. Er meinte nicht mich. Tuljas prüfende Blicke waren mir jedoch nicht entgangen. Leni strahlte über beide Ohren, Frank trank und begrabschte seine neue Trophäe. Und ich saß mittendrin und sammelte die Scherben meiner Zukunft auf, die ich auf mich niederprasseln sah, eine Zukunft, die nicht lebenswert erschien, und ich sehnte mich nach Abi und nach unserer gemütlichen Liebe, nach seiner Fürsorge, seinem Halt und verfluchte innerlich Ivo.
Nach dem Geschenkeauspacken begann wie gewöhnlich die Trinkorgie mit Tuljas Likören und Schnäpsen. Auch darin schien Bea geübt zu sein. Zum krönenden Abschluss kam die gescheiterte Schauspielerin auf den Gedanken zu tanzen, legte Anita Baker auf und forderte alle anwesenden Paare auf, mitzumachen. Aus Mitleid tanzte Vater mit mir, und dann musste ich auf Drängen der Familie mit Leni einen uralten Tanz vorführen, den wir vor endlos vielen Jahren in der Schule einstudiert hatten und der genauso dämlich und lächerlich aussah wie damals, ich schämte mich in Grund und Boden.
Ich betrank mich, setzte Tuljas selbstgestrickte Mütze auf, mein Weihnachtsgeschenk, und ging in den Garten, um mir eine Zigarette anzuzünden. Ich saß auf dem Schaukelstuhl und hörte das laute Gelächter, das aus dem Haus zu mir herausdrang.
Ich saß da, trank weiter Glühwein und rauchte eine nach der anderen. Nichts und niemand konnten mich zwingen, in diese Hölle zurückzugehen.
Doch dann stand er neben mir und bat mich um eine Zigarette. Ohne ein Wort zu sagen, reichte ich ihm meine halbleere Schachtel. Er setzte sich zu mir, ohne mich zu fragen. Ich rutschte automatisch zur Seite.
– Du siehst gut aus.
Sein Ton war fröhlich, fast provozierend. Er sah vor sich hin und stocherte mit den Spitzen seiner Stiefel in der Erde. Drinnen im Haus besang Anitas zuckrige Stimme die Liebe und das Glück der Menschen. Und schloss alle aus, die sich gerade auf dem Schaukelstuhl in der Kälte aufhielten.
– Ich brauche deine Floskeln nicht.
– Wie geht’s dir?
– Mir geht es wunderbar.
– Bist du immer noch sauer?
– Sauer? Sauer nennst du das?
– Tulja hat es für sich behalten.
– Ach. Geh bitte wieder rein. Das ist widerlich.
– Widerlich? Was habe ich denn wieder falsch gemacht?
– Du denkst, dass ich Angst davor habe, dass Tulja irgendwem erzählt, sie hätte mich nackt mit dir in der Dusche erwischt? Das sei meine größte Sorge auf der Welt, meinst du, ja?
– Ich meine gar nichts. Ich habe dich nur gefragt, wie es dir geht.
– Wunderbar. Sagte ich doch.
– Du musst darüber hinwegkommen, Stella. Das bringt doch nichts.
– Ach so. Hinwegkommen. Ja, klar. Ich gehe auch nach New York und angle mir da einen, der mich darüber hinwegbringt. Über all meine Sorgen, meinen ganzen Kummer, über alle Menschen, die mich scheiße behandelt haben.
– Sei nicht so bissig. Das ist doch einfach.
– Nichts ist einfach, Ivo, und ich wäre dir unendlich dankbar, wenn du aufhören würdest,
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