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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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den Schatten eines Gebüschs und tranken Cola. Er wollte an meiner Zigarette ziehen, und ich erlaubte es ihm. Er war mein Übersetzer und mein Stadtführer.
    Er war 1993 auf die Welt gekommen. In einer Stadt am Meer, in Abchasien, an der Schwarzmeerküste. Seine Mutter, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, sei eine georgische Schauspielerin am dortigen Theater gewesen. Lado habe sie am Theater kennengelernt, wo er für ein Stück die Musik schrieb.
    – Sie sahen sich, verliebten sich sofort, und nach drei Monaten heirateten sie. Und dann kam meine Schwester auf die Welt. Mama war voll gut. Ich habe ein Video zu Hause, von einem Stück, in dem sie die Hauptrolle spielt, da heulst du, ich schwöre es dir. Sie spielt eine Frau, die erfährt, dass ihr Mann so eine Freundin hat, und dann musst du sehen, was sie macht. Ich verrate es dir lieber nicht. Na ja, und dann wurde das alles so krass. Chaos. Lado, der war schon früher aktiv gewesen, ich meine, er war für die Freiheit und so. Sie haben immer heimlich Demos organisiert und im Keller Flugblätter gedruckt. Er kam ins Gefängnis. Ich war da noch nicht auf der Welt. Und mein Vater hat dann diese scheiß Partei mitgegründet. Heute sagt er, dass es Scheiße gewesen war, falsch und so. Den Leuten ging es nicht um das Land, sie wollten Geld und Macht. Ging auf jeden Fall in die Hose. Die haben sich zerstritten, innerhalb der Partei. Anfangs wollten ja alle das Gleiche, aber ich meine, das ist halt so, jeder will sein Ding durchziehen, ich meine, ich kenne das voll gut. Und dann der Krieg. Die Russen und Abchasen und Georgier, alle irgendwie gegen alle. Damals wurde ich geboren. Lado sagt, der Krieg ist eine Selbsterhaltungsmaßnahme, alle paar Jahre brauchen das die Menschen und so. Sagt er. Ich hätte damals, wenn ich so alt gewesen wäre wie jetzt, auch gekämpft. Klar wäre ich hin und hätte all die Arschlöcher erschossen. Haben ja alle Georgier rausgeschmissen, aber Lado sagt, dass die Georgier keinen Plan hatten, sind da einfach so hin und keiner hatte eine Ahnung.
    Buba machte eine Pause, schaute nachdenklich auf die Stadt hinunter, die sich mit einer heißen Staubwolke zudeckte. Man hörte Vögel zwitschern, und ich ließ mich zurück ins Gras fallen. Mit seiner Erzählung erinnerte er mich an etwas, was mir abhandengekommen war, und ich hatte das Gefühl, dass er mir mehr erklären konnte als sein Vater oder Ivo. Ich hakte mich bei ihm ein und tat so, als wäre er der Ältere und ich die Schutzbedürftige. Er fühlte sich gern erwachsen. Er lächelte mich an und bat mich um eine Zigarette.
    – Die Absprache ist: nur ziehen. Okay?
    – Komm schon. Ich erzähle dir vom Krieg und darf nicht rauchen? Ich kann schon was vertragen.
    – Was hat der Krieg mit dem Rauchen zu tun?
    – Klar doch!
    Er legte sich neben mich und erzählte Witze. Ich weiß nicht mehr, warum er das tat und um was es ging, sie waren derb und vulgär, und er fand es sehr komisch, und ich lachte mit. Seine Art zu lachen mochte ich. Laut und ungezügelt. Seine großen weißen Zähne kamen ganz zum Vorschein und ließen sein dunkles Gesicht heller strahlen. Ich berührte seinen Kopf und tätschelte ihn, er verzog genervt die Miene und lachte erneut.
    – Ich habe in der Kulturstiftung eine Frau aufgetrieben, die mir Zugang zum Nationalarchiv verschaffen will. Da sind Kriegsberichte und alles an Presse, was ich brauche. Sie sagte, mit etwas Glück könnte ich sogar an Videomaterial kommen. Mein Presseausweis kommt hier besser an als in Deutschland.
    – Ich habe aber doch schon genug Material. Was willst du noch recherchieren?
    Ivo sah mich erstaunt an und legte seinen Stift beiseite.
    – Ich muss auch was tun. Ich dachte, du willst, dass ich etwas herausfinde. Wenn du schon nichts verraten willst.
    – Was genau willst du wissen?
    – Hinter deiner Reportage steckt etwas anderes, nicht wahr? Und da ihr mir nicht sagen wollt, worum es wirklich geht, werde ich mich wohl auf meine weibliche Intuition verlassen müssen.
    Er stand auf, weil er meinem Blick ausweichen wollte, und ging in die Küche, um Kaffee zu machen. Ich folgte ihm.
    – Also, was soll ich in dieser Geschichte?
    – Es ist mir zunächst einmal wichtig, dass du hier bist.
    Ich war übermüdet von der Nachmittagshitze und lackierte mir aus Langeweile die Fingernägel rot. Er nahm meinen Zeigefinger und steckte ihn in seinen Mund – den feuchten, chemisch riechenden Nagel, ich zog ihn zurück, der Lack war noch nicht

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