Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
nicht zu leidenschaftlich, gehen gemeinsam shoppen und zum Friseur, wenn die Haare zu lang werden. Aber wer weiß schon. Vielleicht trösten mich nur die Geschichten, die ich mir selbst über sie erzähle. Wahrscheinlich sind es immer nur Geschichten. Nur wer über das Happyend hinaus denkt, ist für den Trost verloren.«
28.
Ein Handschl a g kann mehr Wunder bewirken als ein Heiliger in seinem ganzen Leben.
Das Qi-Gong-Buch hat ihm vor Jahren jemand zum Geburtstag geschenkt, wahrscheinlich mit der Versicherung, dass nur Qi-Gong ihn retten würde. Wer war das nur? – Trotz angestrengten Nachdenkens fällt es Max nicht ein. Egal. Nach Tai Chi und Yoga fehlt ihm das noch in seiner Asia-Sammlung.
Das Buch hat er seitdem mehrmals nach wenigen Seiten weggelegt. Bis er beim Herumsurfen herausfand, dass der vom Cover lächelnde chinesische Meister Seminare vor den Toren Münchens gab. Die sechs heilenden Laute standen auf dem Programm für einen Kurs zum Einstieg in die Karwoche. Wie passend, dachte Max. Zumal er Ostern als Wendepunkt ausgerufen hatte. Danach würde er wieder mal ein durch und durch körperbewusstes Leben beginnen.
Zur Vorbereitung nimmt er sich das mit vielen bunten Fotos ausgestattete Bilderbuch noch einmal vor. Herausgebracht hat es ein Verlag für Unterhaltungsliteratur, und entsprechend reißerisch ist es gestaltet. Von der Überschrift an wird das blaue Glück vom Himmel herunter versprochen. Und der Weg dahin ist mit Anekdötchen, Gute-Nacht-Geschichten vom schlauen Buddha und schlichten Übungen ausgelegt. Doch die Rezepte klingen zu einfach, um glaubhaft zu sein: Ein kleines Lächeln würde genügen für einen geglückten Tag … einmal mit der Hand über die Nasenspitze gewischt, schon soll ein wohliges Gefühl durch den ganzen Körper rieseln … nach einer Tasse ungenießbaren Kräutertees lacht die Sonne vom Himmel … Nein, auf so etwas will Max nicht mehr hereinfallen. So einfach kriegen die ihn nicht. Und immer diese schrägen Bezeichnungen für die Übungen: hinkender Drache bei Sonnenuntergang oder dergleichen. Eine Lotus-Blüte würde er nicht einmal erkennen, wenn man sie ihm direkt unter die Nase hält. – Dennoch blättert er das Buch von vorne bis hinten durch, in dergleichen Gemütsverfassung, in der er hin und wieder mit seiner Schwester einen Rosamunde-Pilcher-Film im Fernsehen anschaut.
So vorbereitet steigt er am Montag vor Ostern in die S-Bahn und fährt Richtung Osten, mit einem Rucksack voller Vorurteile und einem Paar warmer Socken.
Das Seminar findet im ersten Stock eines Bio-Hofes statt, über den Schafen und einem Lebensmittelladen. Als er mitsamt Rollstuhl von drei Männern hochgeschleppt wird, erinnert ihn das wieder einmal an seine liebste Bibel-Heilungsgeschichte: wie die vier Männer den Lahmen auf einer Bahre durch ein Loch im Dach herablassen. Auch die Helfer von Max strahlen eine irritierende Zuversicht aus. Auch sie stellen keine Fragen. Seine bloße Anwesenheit bedeutet ihnen hinreichend Heilsbedürftigkeit.
Im Seminarraum, geschmackvoll mit fernöstlichem Nippes ausgestattet, trägt jeder Filzpantoffeln, was dem Ganzen die Atmosphäre eines Wellnessbereichs gibt. Nachdem alle ihre Meditationskissen auf den Matten zurechtgezupft haben, ebben die Gespräche ab. Eine gottesdienstähnliche Stille breitet sich aus. Nach einer Kunstpause erscheint der Meister durch den Mittelgang. Ganz in Chinesenschwarz. Hinter ihm seine Frau mit gesenktem Kopf. Beide erklimmen das Podest und setzen sich auf zwei Thronsessel. Der Meister schweigt.
Unvermittelt beginnt er zu sprechen: leise und nur mit wenigen Lauten. Seine Frau übersetzt in ein makelloses Deutsch. Max ist überrumpelt. Noch nie hat er an einem Seminar teilgenommen, das ohne Begrüßung und ausführliche Inhaltsangabe beginnt.
Die heilenden Laute fordern rasch seine ganze Aufmerksamkeit. Sich gleichzeitig auf den Atem zu konzentrieren, auf die Organe und auf sich verschlungen durch den Körper windende Meridiane, von der großen Zehe bis in den Himmel, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu noch komplizierte Choreografien mit beiden Armen, die Hände mal ein, mal ausgedreht. Er kann sie nicht einmal behalten, während der Meister sie vormacht. Dennoch tut Max so gut als eben möglich mit und fühlt sich für den Rest durch den Rollstuhl ausreichend entschuldigt.
In der ersten Pause spricht ihn eine Schweizerin an. Woher er käme und warum der Rollstuhl, aber diese Fragen dienen nur der Auflockerung.
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